Tierliebe – für manche Menschen ein unbekanntes Wort


Zuerst muss ich etwas gestehen: je älter ich werde, umso mehr liebe ich Tiere. Ich  kann es nicht
mit ansehen, wenn Menschen Tiere schlecht behandeln. Jeder, der sich ein Tier anschafft, sei es
eine Katze, ein Hund, ein Wellensittich oder ein Papagei  ist  verantwortlich für das Wohlergehen
des Tieres.  Nicht nur wir Menschen  wollen unseren  Ansprüchen gerecht leben, und das gleiche
 sollten wir den Tieren zugestehen.  Sie sind uns jedoch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Als wir – meine Geschwister und ich – Kinder waren, lebten wir immer mit Tieren zusammen. Es
waren Dackelhunde, an denen unsere ganze Familie ihr Herz gehängt hatten. Zwei Teddies,
Teddy Nr. 1 und Teddy Nr. 2 begleiteten uns in unserer Kindheit. Teddy Nr. 1 wurde leider früh
durch ein verhängnisvolles Geschehen mitten aus seinem kleinen Leben gerissen: sein Feind,
der Hund eines Nachbarn, verschreckte ihn dermaßen, dass er sich in Panik losriss und direkt vor
die Räder eines Lastwagens lief.  Meiner Mutter, die damals ca. 30 Jahre alt, blieb  - blind von Tränen
 und fassungslos  - nichts anderes übrig,  als das kleine tote Wesen nach Hause zu tragen. Die ganze
Familie, inkl. unser Vater, der mit seinen zwei Metern  ein Bild von einem Mann war, fiel in tiefe
Trauer und weinte sich viele Tage die Augen aus.

Bis unsere Mutter wie so oft handelte: Teddy Nr. 2, der dem 1. Teddy sehr  ähnelte, kam aus der 
Öde eines Tierheims.  Er gewöhnte sich schnell an uns und unsere Liebe und wir uns an seine freche
kleine Persönlichkeit.

Beide Teddies hatten in unser Familie ihr Paradies gefunden. Sie wurden geliebt, respektiert und
artgerecht behandelt. Dies umschloss den täglichen stundenlangen Spaziergang, den sie meist mit
unserem Vater machten.
Der baumlange Mann und der kleine braune Hund gehörten damals zum Stadtbild. Ein netter Nachbar
meinte einmal:
Da  kommt ja wieder Herr C. mit seinen drei  Schuhen."

 Unser Vater hatte nämlich Schuhgröße 48, so daß ein Schuh von ihm genauso lang  wie der Hund Teddy
war.  Auch die braune  Farbe stimmte.

An all diese Begebenheiten erinnere ich mich, als ob es gestern gewesen wäre.

Jahrzehnte sind inzwischen ins Land gegangen, unsere  Eltern leben schon lange nicht mehr, und auch
die beiden niedlichen Dackel sind nur in meiner Erinnerung gegenwärtig.

Meine traurige Geschichte handelt von einer kleinen schwarzen Katze. Als ich vor einigen Jahren in meiner
Dachwohnung eingezogen war, bekam ich sofort regelmäßig Besuch von einer Katze, die, wie es sich
erst nach Wochen herausstellte, damals mit ihren Besitzern in der Wohnung über mir wohnte. Kasimira, 
wie ich sie nannte, kam immer über das Dach und besaß unglaubliche Fertigkeiten im Klettern
 in schwindelnder Höhe.  Ich war so davon so beeindruckt, dass ich ihr, meiner Dachkatze, 
ein kleines Gedicht widmete:


b58

Kasimira

Eines Tages,
von einem Moment zum andern,
war sie da,
die  stolze Kreatur
gekleidet ganz in Schwarz.
Mit unergründlichem Blick
tauchte sie hinein
tief in meine eigene Welt. 
Kasimira, die Dachkatze,
herrscht über alle Dächer,
kommt zu mir und geht,
wie’s ihr beliebt.
Akrobatin
ist sie,
grazile Tänzerin
in schwindelnden Höhn,
weit entfernt von Plätzen,
wo gemeine Katzen
faul ihr Dasein fristen.
Kasimira, die kleine Katze,
Sinnbild der Freiheit,
unberechenbar und wild
wie der Wind,
den niemand halten kann.


Versonnen nehmen sie die edlen Haltungen
der großen Sphinxe ein, die ausgestreckt
in tiefen Einsamkeiten ruhen
und zu entschlummern scheinen
in endlosem Traum."

Zitat von Charles Baudelaire

Gedicht "Kasimira" Copyright©2012 Gisela Bradshaw


Kasimiras Vorliebe war Vogelbeobachtung. Mit gesträubten Fell saß sie immer an  meinem
Schlafzimmer-fenster und verfolgte mit ihren schönen grünen Augen das Treiben der hungrigen
Vögelchen, deren offensichtlich einzige Beschäftigung das Picken von Sonnenblumenkernen war.

Eines Tages zogen die Leute aus, in ein Haus in der gleichen Straße. Kasimira war jetzt
vom hohen Dach auf dem Boden gelandet und erkundete neugierig , wie ich es von meinem
Fenster mitbekam, das Lebenauf dem Boden.  Manches Mal legte sie sich mit anderen Katzen
an, die wahrscheinlich ihre  Gebietsansprüche gegen den neuen Eindringling verteidigten.

Vor ein paar Wochen stellte ich fest, dass Kasimiras Besitzer weg waren, nicht nur ein paar
Tage, sondern einige Wochen. Kasimira war zurückgelassen worden, sie streunte herum
und wurde jeden Tag dünner und ihr einstmals glänzendes Fellchen immer glanzloser.
Wenn sie mich sah, kam sie schnurrend  zu mir gelaufen. Ich nahm sie einige Mal
mit zu mir hoch in meine Dachgeschoßwohung, gab ihr etwas zu fressen und zu trinken,
was sie offensichtlich dankbar und gierig annahm.

Natürlich konnte sie nicht bei mir bleiben, weil ich für eine Katzenhaltung gar nicht
eingerichtet war. In derZwischenzeit hatten auch andere, tierfreundliche Nachbarn, die
sich auch über das merkwürdige Herumstreunen der Katze wunderten,  Futter gekauft,
 so dass die kleine Katze praktisch an jederHaustür Futter und Wasser bekam.

Vor ein paar Wochen sah ich endlich  ein Auto vor dem verlassen scheinenden Haus,
aus dem eine Frau und ein Mann ausstiegen. Ich lief zu ihnen hin und fragte sie nach
dem Verbleib der verschwundenen Familie und wer sich denn um die Katze kümmern
würde.

Ihre Tochter mit Familie sei in Urlaub, die Katze bekäme das Futter  von ihnen vor die
Haustür hingestellt. Sie und ihr Mann kämen zweimal pro Tag, log sie.

Ab sofort  aber dürfte sie gar nicht mehr ins Haus hinein, weil ihre Tochter jetzt einen
Welpen hätte und …...„Sie wissen ja, Hund und Katze vertragen sich nicht miteinander......“
fuhr  die kleine untersetzte Frau in einem gebrochenen Deutsch mit stark russischem
Akzent fort.

Wo denn die Katze im Winter bei klirrender Kälte bliebe, wagte ich noch zu fragen.

„Kein Problem,“ meinte die Frau,  „dann kann sie  in einen Kellerverschlag gehen.“

Als die Frau meine geschockte Miene wahrnahm, meinte sie spitz:
 
„Das ist bei uns so üblich.“

Ihr Ehemann, ein  stiernackiger, dicker Mann schwieg, gab mir aber mit seiner drohenden
Miene das Gefühl, dass er sehr unangenehm werden könnte.

Seitdem irrt Kasimira Tag und Nacht draußen herum. Vor der Haustür steht lieblos hin
geklatscht ihr Futter.  Manchmal liegt sie auf dem Dach des  vor der Haustür stehenden
Autos ihrer Besitzerin oder auf dem Fenstersims des Hauses, in dem die Leute jetzt wohnen.
Manchmal sitzt sie stundenlang vor verschlossener Tür.  Das Betreten des Haus wird
ihr offensichtlich tatsächlich verwehrt.

Die junge Frau  sehe ich jetzt des öfteren mit  ihrer kleinen Tochter und einem kleinen
Welpen an der Leine durch die Gegend stolzieren, vorbei an ihrer Katze, der sie früher
einmal ein  warmes Plätzchen zum Schlafen gegeben hatte und an die sie nunmehr
keinen Blick mehr verschwendet.

Es ist nur eine Frage, die ich mir im Zusammenhang mit diesem Tierschicksal stelle:

Warum schaffen sich Leute wie diese ein Tier an?



Idar, 10. August 2015
Copyright© Gisela Bradshaw