Sommertage in der alten Heimat
Ich blicke in die grüne Landschaft, über die der Frühsommer eine bunte
Blütendecke geworfen hat. In der dunkelgrünen Wand der
umliegenden Wäldern leuchten die lustigen Farbtupfer des frischen
Grüns von Buchen und Eichen. Die uralten Apfelbäume auf den
Streuwiesen stehen in voller weißer Blütenpracht.
Hoch oben am Blau des Himmels kreisen auf mächtigen Schwingen zwei
Rotmilane, begleitet von einem Falken, der sich
blitzschnell auf seine Beute am Boden stürzt. Es ist
schön hier, und auch ich bin froh, nach langen Jahren in der
Großstadt wieder im Hunsrück zu sein.
Für
eine Woche bin ich zurückgekommen an den Ort, in dem unsere
Eltern vor langen Jahren ein wunderschönes Haus gebaut hatten, in dem
sie bis zu ihrem Lebensende sehr glücklich waren. Dieses Haus war
früher für alle Familienangehörigen, die nunmehr verstreut über
die
Welt leben, ein wunderbarer, perfekter
Treffpunkt. Hier habe ich mit meinen Kindern den Sommer verbracht, hier
haben wir alle viele warme Sommerabende am Kamin gesessen und gemeinsam
in die Nacht gelauscht.
Seitdem ich hier bin, wandern meine Gedanken immer wieder zurück zu
meinen Eltern, die an diesem schönen Ort bis zum Schluss ihre Leben
verbrachten. Sie haben dieses Stück Erde über alles geliebt und
das Haus, das
unser Vater nach seinen Plänen und Vorstellungen mitten in im
Grünen
erbauen ließ. Es wurde ihre und auch unsere Heimat.
Nach dem Tode der Eltern wohnen nunmehr Fremde dort. Mit
tiefgreifenden Veränderungen haben sie alle Schönheit in Hässlichkeit umgewandelt. Die ehemaligen gepflegten
Rasenflächen vor dem Haus mussten hässlich grauen
Schottersteinen weichen, ein Anblick, der einen an einen Steinbruch
erinnert. Außer Unkraut wächst hier nichts mehr.
Die zahlreichen viele Jahre alten, hochgewachsenen, herrlich
grünen Douglasien wurden allesamt gefällt. Wo sie einst
standen und ein Heim für unzählige Vögel
waren, klafft nunmehr ein trostloses, riesengroßes Loch. Wie gut
ist es nur, dass
unsere Eltern all dies nicht miterleben mussten. Nicht nur der
Verlust unserer Eltern, sondern auch dieser brutale
Eingriff in eine ehemals harmonisch gestaltete Anlage lässt
mich trauern. Der Ort, den wir liebten und der für uns der beste auf
der
Welt war, existiert nicht mehr.
Jedoch, was sagt doch Heraklit, der griechische Philosoph?
«Alles fließt.«
Alles im Leben fließt, ist Veränderungen unterworfen. Ohne dieses
Fließen gäbe es kein Leben, sondern nur Stillstand und Tod. Unter
diesem Aspekt muss ich auch mein kurzes Intermezzo im Heimatort
meiner Eltern betrachten. Alles Vergangene darf für mich keine so
große
Bedeutung mehr haben. Die schöne Zeit von damals ist endgültig vorbei.
Das
Hier und Jetzt ist jetzt wichtig. Die wunderbaren
Erinnerungen an vergangene Zeiten können mir nur Trost sein.
Ein Trost, der mich mit Dankbarkeit in meinem Herzen
zurückdenken lässt an das, was und wie es einstmals war.
Nockenthal, im April 2015
Copyright©Gisela Bradshaw
Epilog
Das Urnengrab unserer Eltern liegt auf dem kleinen
Nockenthaler Friedhof mit einem herrlichen Blick über das weite,
grüne Hunsrückland. Eine Heerschar von Vögeln zwitschern fröhlich in den
Bäumen. Vielleicht sind einige von ihnen Nachfahren der vielen kleinen
fröhlichen Gesellen, die einst in unseren Douglasien sangen.
Das nachfolgende Gedicht, das wie ich denke, sehr schön zu dem Thema
Heimat passt, habe ich im September 2002
geschrieben.
Heimat: Assoziationen
Heimat:
Spätsommerliches Frühstück
Im Haus am Wald
Guten Morgen, Mutter,
guten Morgen, Vater.....
Heimat:
Sanft geschwungene Berge
Tiefgrünes
Wiesenland
So weit das Auge reicht
Heimat:
Sanftes Gurren
einer Taube
In luftiger Höhe des
Ahornbaumes
Heimat:
Sturzflug des Bussards
Mit rauschenden Schwingen
Über friedlichem
Feld
Heimat:
Abendsonne über goldgelbem Stoppelfeld
Tief hängender Feuerball
Explodierend
in dunkelroter Glut
Heimat:
Nachtblaues Zelt des Abendhimmels
Geschmückt mit abertausend Sternen
In dunkel raunender
Sommernacht
Heimat
Ein Kaleidoskop von
Menschen, Landschaft,
Farben und
Gefühl.
«.....und die Welt fängt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort«
Joseph von Eichendorff –
- Aus dem Leben eines Taugenichts -
Nockenthal, den 4. September 2002
Copyright©2002 by Gisela Bradshaw