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Ich träumte von Italien..........fast ein Reisebericht
   

    Donnerstagnachmittag:
 
Es war fast 16.30 h. Ich hatte die Sektgläser meines  Urlaubsumtrunks bereits
weggeräumt, den Computer ausgestellt und war bereit, nach
    Hause zufahren. Eine Packliste für  meine
Reise hatte ich ebenfalls erstellt, damit ich in diesem Urlaub auch
wirklich alles dabei hatte, was ich brauchte.
Zwei Reiseführer hatte ich in der letzten Woche gekauft, einmal
für die Toskana, wo ich hin wollte, nach Castiglioncello,
    südlich von Livorno und westlich von Florenz
ca. zwei  Stunden entfernt, einmal für Umbrien, das
angrenzende Land.

Zuhause lagen meine Tickets für Sonntag: das Flugticket Berlin
nach Florenz und die Bahnkarte  von Florenz nach Castiglioncello via
Pisa.

    Auch die Anmeldung zum Sprachkurs, den ich im April
schon gebucht hatte, durfte ich auf keinen Fall vergessen.
 So sehr freute ich mich auf das Schloss am Meer, in dem wir
Unterricht haben sollten und die toskanische Villa,
in der ich wohnen sollte.

    Ich kannte  Castiglioncello schon von
einem vorherigen Urlaub, und ich konnte es kaum
 erwarten, diesen hübschen Ort an der etruskischen
 Riviera wiederzusehen.

Noch lebhaft erinnerte ich mich an das kleine Hotel direkt am Strand
mit der großen, langgestrecktenTerrasse über einer Eisdiele,
    oberhalb der kleinen Pazza, wo sich alles, was
Beine hatte, am Abend zum Eis und einem  Schwatz traf.
 Es waren typisch italienische  Familien, mit Kind und Kegel und Oma
und Opa, die munter plaudernd zusammensaßen und die laue
Abendluft und die untergehende Sonne genossen.
 
Der Blick über das Meer und die alten Jugendstilvillen oberhalb
des langgestreckten Strandes mit seiner wundervoll ausgebauten
    Promenade  war atemberaubend. Hier stimmte alles, und
so war ich sehr  glücklichund froh, bald wieder
 diese wunderbare Atmosphär zu  erleben.
Viel unternehmen wollte ich, einen Abstecher zur Insel
 Elba, nach Siena, Volterra oder Pisa.

   Ich nahm den Telefonhörer und rief noch einmal kurz
meine Mutter an, bei der ich mich tagtäglich meldete. Sie lebte damals
zusammen mit  meinem pflegebedürftigen Vater in einem
Haus am Wald in Südwestender Republik, in der Nähe
der französischen Grenze.

    »Ich habe eine schlechte Nachricht!», sagte sie, und ich dachte
 sofort an meinen Vater.

     »Ich habe mir heute bei einem Sturz den rechten Oberarm gebrochen!»

      Schlagartig wurde mir klar, was dies für mich bedeutet.


     Freitagmorgen:

Statt meinen Koffer zu packen sitze ich am PC und schreibe meine
Stornierungen meiner geplanten Reise: alles mußte einzeln schriftlich
    abgesagt werden. Ich telefoniere mit der Versicherung, mit der Firma, mit dem
Arzt. Es vergehen Stunden, bis ich alles erledigt habe.

    Zum Nachdenken komme ich nicht.

    Todmüde lege ich mich ins Bett, schlafe sofort ein und träume von
dem Campanile, der Piazza, dem ockerfarbenen, efeubewachsenen
 uralten kleinen Ristorante und seinem sympathischen,
gutaussehenden Besitzer mit dem exotischen Namen Everest (weil er am
23. Mai 1953, dem  Tag der Bezwingung des Mount Everests, geboren
wurde) bei dem ich ganz entspannt ein Glas frischen italienischen
Weißwein trinke und mich mit ihm, so wie damals,  angeregt auf französisch unterhalte.

Am Abend telefoniere ich wieder mit meiner Mutter, die dieses Mal recht müde klingt.
Ich sage ihr, dass S. bereits auf dem Weg zu ihr ist und ich dann Ende
der Woche für 14 Tage  nach Hause kommen werde. Es sei doch
    klar, dass ich sie und Papa  jetzt nicht im Stich lassen würde.

    Samstag:

Ich habe schlecht geschlafen. Als ich aufwache, scheint die Sonne hell
durchs Fenster. Ich schwinge mich auf und fahre mit dem Fahrrad
  zum Markt, kaufe frisches Gemüse und einen Korb goldgelber
Pfifferlinge. Zu Hause mache ich mir ein köstliches Mahl, das ich
auf  meinem Balkon einnehme und zu dem ich
ein Glas weißen italienischen Wein trinke.

  Ich schließe die Augen und denke an Italien. Stundenlang vertiefe
ich mich in meine italienischen Lehrbücher, lese Texte,
übersetze undkontrolliere sie. Es wäre doch gelacht,
wenn ich mir nicht selbst einiges beibringen könnte..
 
Ich stelle meine Sprachkassetten an, die ich schon lange Zeit nicht
mehr gehört haben:  nach der meditativen musikalischen
Einleitung erklingt eine sonore Männerstimme:

     »Schließen Sie die Augen und lassen Sie alle
Sorgen und Nöte hinter sich.

Heute stellen wir uns vor, mit dem Flugzeug nach
    Italien zu reisen. Sie befinden sich in einem Flugzeug in
 1000 Meter Höhe mit
Destination Florenz.
   
    Der Kapitän spricht über das Mikro:
   
 »Signori
passegieri, buon giorno, fra cinque minuti circa attereremo
all’aeroporto di Firenze. La temperatura esterna
raggiunge i 25 gradi e la previsione per i giorni prossimi e buona..... »
 
Aus dem Garten des Grundstücks nebenan erklingen auf einmal
fröhliche Klänge. Ich stehe auf und blicke auf einen Reigen
von kleinen bunt gekleideten Mädchen,
die unter der Leitung einer jungen Frau einen südländischen
Tanz einüben.

Das Leben geht weiter, denke ich, fröhlich und mit Musik. Auch ohne meine Reise!
   Und hier ist sogar ein Gedicht , das ich zuhause in italienisch geschrieben habe:


    E quello que vorrei

    Vorrei cominciare
    ogni giorno
    con una canzone,
    respirare l’aria fresca
    delle foreste verdi
    ascoltare le canzone dolci
    dei uscelli timidi.
    Vorrei gettare pietri
    nell' aqua turchese del fiumicello
    e di sera
    sedere al sua riva
    nella luce dorata
    del sole tramontante.
    E si fa notte
    vorrei admirare
    il girotondo luminoso
    delle stelle.
    Vorrei ridere,
    piangere
    disputare.
    Davanti a tutti ma
    vorrei sentire
    un po di felicità.


    Schlussbemerkung:
  
Nicht nur die paar Tage auf meinem sonnigen Berliner Balkon, auch die
zwei Wochen im Hunsrück waren wundervoll.
 Ich vertrat meine arme Mutter, die mit ihrem gebrochenen Arm,
mir immer wieder zur Hilfe eilen wollte - was ich natürlich
     nicht zuließ  - und kümmerte mich um
meinen Vater, dergenau wie meine Mutter,  von meinen
abwechslungsreichen Gerichten begeistert war.

    Wir hatten einen so herrlichen Sommer, dass wir jeden Tag bis in die Nacht hinein
draussen auf der großen Terrasse sitzen konnten.

  Früh am Morgen lief  ich  noch im Nachthemd barfuss durch das kühle, noch
taufeuchte Gras des Gartens, atmete in tiefen Zügen
    die wundervolle reine  Hunsrückluft und genoss die Schönheit der
 herrlichen Landschaft um mich herum. 
 
Wieder in Berlin erhielt ich eine schöne bunte Ansichtskarte von
einer Bekannten, die den Sprachkurs in Castilioncello mitgemacht
   hatte:
 
  Das Quartier wäre mehr als gewöhnungsbedürftig gewesen. Während der ganzen Zeit
 hätte es sintflutartig geregnet, so dass es zu gefährlichen Erdrutschen
gekommen sei.
 Kurzum: alles sei ein totaler Reinfall gewesen, der zu
allem auch noch teuer war.
 


 Berlin, 24. August 2002/update 12/2020

    CopyrightGisela Bradshaw