Mein Traum von einer kleinen Maus:
Ich befinde mich in einem Zimmer zusammen mit einer kleinen Maus. Sie
ist scheu und verkriecht sich ängstlich in einer Ecke. Ich fange
sie ein und will sie in einen kleinen Korb mit einem kleinen Stück
Käse setzen.
Sie schaut mich mit ihren blitzblanken Äuglein an und fängt an, wie ein
Baby an zu weinen. Ihr kleiner weicher Körper und dieses fast
menschliche Wimmern rührt mein Herz, und ich sehe plötzlich nicht mehr
ein kleines Tier in ihr, das man vertreibt, ja sogar tötet,
sondern ein süsses, liebenswertes Geschöpf.
Ich wache auf und erinnere mich sofort an meine Großmutter, die eines
Morgens in ihrem Bett aufwachte, mit einer kleinen grauen Maus fest an
ihren Hals geschmiegt. Schon damals als kleines Mädchen fand ich dieses
Bild, meine alte Großmutter liebevoll vereint mit der Maus im
Bett liegend, rührend.
Auch an die Maus, die damals in meiner ersten Wohnung in einer fremden
Stadt in meinem Wandschrank wohnte und sich mit Wohlbehagen an meiner
dort gelagerten Butter und meinem Käse gütlich tat, muss ich denken.
Sie störte mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie leistete mir damals
in meiner Einsamkeit Gesellschaft, und so ließ ich sie gewähren. Sie
wurde zu meiner Freundin, die sich offensichtlich freute, wenn ich des
Abends von der Arbeit in meinem Zimmer auftauchte und neue Leckereien
für uns beide mitgebracht hatte.
Beim Spaziergang in der Natur habe ich oft diese ganz kleinen
flinken Feldmäuse gesehen, die in ihrer kleinen Gestalt ganz
besonders possierlich sind. Nie würde ich es übers Herz bringen, solch
ein süßes Tier totzuschlagen. Allein die Vorstellung davon ist für mich
ein Alptraum.
«Der Traum ist ein Leben, das, mit unserem übrigen zusammengesetzt,
das wird, was wir menschliches Leben nennen. Die Träume verlieren
sich allmählich in unserem Wachsein, man kann nicht
sagen, wo das Wachen eines Menschen anfängt oder aufhört.«
Zitat von Lichtenberg aus "Aphorismen"
Idar, im Februar 2015
©2015/update Jan. 2022 Gisela Bradshaw