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          Kino à la carte


            Kaum hatte ich meinen Platz in dem tiefen bequemen Kinosessel eingenommen, sank ein schwergewichtiges
            Paar leicht schnaufend in die Sitze rechts neben mir.  Er trug ein paar Dosen Bier, sie eine XXL-Tüte in Form
            einer Tonne mit  Popcorn. Sofort fingen beide an, sich an den Verzehr ihres mitgebrachten Proviants zu machen.
 
            Zischend öffnete er die erste Dose, nahm einen tiefen Schluck, rülpste …. Ahhhhh….! Beide griffen raschelnd in
            ihre Popcorntonne, fingen an zu  knuspern, zu schmatzen, wie Fressmaschinen aus dem Charly-Chaplin Film.

            Neben mir hatte zwischenzeitlich ein weiteres, gut beleibtes Paar Platz genommen. Auf ihrem Speiseplan standen
            Tacos mit scharfer Chilisoße, dazu zum Löschen des entfachten Chilifeuers kühle Bierchen. Süßlich scharfer
            Knoblochgeruch umwehte mich. Die beiden waren offensichtlich kurz vor dem Verhungern, so langten sie zu.
            Wahrscheinlich waren es aber nur die Tacos, die mit ihrer Würze für großen Salivafluss sorgten und mit ihm
            eine fast unbremsbare Gier nach Nachschub. .

            In der Zwischenzeit hatte sich der riesige rote Samtvorhang geöffnet, und die ersten Vorfilmchen und  übliche Reklame
            flimmerten über die Leinwand. Schnell stand ich auf, um dem Currybuden-Ambiente um mich herum zu
            entfliehen und ein ess- und geruchsfreies Plätzchen zu suchen. Endlich saß ich Popcorn- und Taco-frei in neutral
            riechender Kinoluft. Ich war bereit für einen ungestörten Kinogenuss.

            Jedoch Fehlanzeige: ein altes Muttchen steuerte zielstrebig  auf mich zu und ließ sich schwer atmend in den
             Sessel neben mir fallen.  Gott sei Dank, sie hat kein Popcorn bei sich und auch keine Tacos, dachte ich dankbar.
         
            Doch man soll ja nie den Tag vor dem Abend loben: meine Dankbarkeit war leider Gottes verfrüht. Es dauerte
            kaum eine Minute, bis neben mir ein rhythmisches Rascheln und Knistern von Papier einsetzte. Muttchen war eine
            Naschkatze mit Vorliebe für Schokoriegel und Werthers Echte, süße Leckereien, alle einzeln liebevoll mit
            durchsichtigem oder goldenem Knisterpapier umhüllt. Für den Rest der nächsten Stunden waren  Muttchens
            Hände in den Tiefen ihrer großen Tasche damit beschäftigt, emsig knisternd Zuckersteinchen auszuwickeln.

         
            Der Film war unterhaltsam, mit Stellen, an denen  man einfach  nur andächtig auf die Leinwand schauen wollte.
            Es hätte perfekt sein können: die Handlung des Films umrahmt von einer wundervollen Filmmusik,  wenn  da
            nicht die profanen Hintergrundgeräusche von  geknusperten Kartoffelchips, Tacos, Popcorn und
            aufwallenden Verdauungsgeräusche der hungrigen Zuschauer  gewesen wären.

            In gar nicht langer Zeit wird man an den Kinokassen auch noch puschelige Pantoffeln und bequeme Hausmäntel
            verleihen, damit der Kinogenuss der Leute noch das letzte Tüpfelchen auf dem I bekommt, dachte ich und fügte
            mich in das  Schicksal einer traurigen Minderheit.

         
            Morgen schaue ich mal bei einem  der großen Mediamärkte vorbei und erkundige mich nach einer
            Heimkinoanlage. Die müsste doch ziemlich schnell amortisiert sein, wenn ich viel gucke oder vielleicht damit ein
            „konsumfreies“ Privatkino aufmache.  Damit würde ich doch sicher in eine Marktlücke stossen, nicht wahr? Ich
            habe auch schon einen Namen für ein solches Unternehmen:

            »KINO PUR – EINFACH NUR ZUM GUCKEN».
 

       
            Berlin, 16.11.2004 
            Copyright©Gisela Bradshaw