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eine Brücke über dem Fluss

Der schlanke, junge Mann mit der Glatze, wie es heutzutage viele Männer tragen, sitzt vor einem Grill, wendet mit einer großen Gabel sein Fleisch, das auf dem Feuer vor sich hin brutzelt.

Er ist allein.

Normalerweise hat er immer eine Frau an seiner Seite, manchmal auch zwei. In jedem Fall ist es immer eine andere.

Aber heute, an einem sommerlichen  Freitagabend, ist er, genau wie sie, allein.

Sie steht oben in ihrer kleinen Küche und, ob sie es will oder nicht, wird sie Zeuge von dem Geschehen  auf ihrem Nachbargrundstück.

Auf einem Tablett hat sie ihr Abendbrot vorbereitet: Eine Scheibe Brot, etwas Butter, Käse, ein Apfel. Gegrillt hat sie schon lange nicht mehr. Dazu gehört nach ihrem Verständnis nette Gesellschaft, Leute, die miteinander sprechen, lachen und gemeinsam genießen.

Seit langer Zeit lebt sie schon allein. Ein Tag ist wieder jeder andere, und manchmal kommt es vor, dass sie zu niemandem Kontakt hat, so dass sie ab und zu, ohne es zu wollen, anfängt mit sich selbst zu sprechen.

Früher, als sie  noch mitten im Leben und Beruf stand, war alles anders. Sie hatte mit ihren Kindern und Ehemann  soviel zu tun, dass sie es sich oft wünschte, einmal nur Zeit für sich selbst zu haben.

Die hat sie jetzt im Übermaß. Alles hatte sich geändert. Ihr früheres Leben, das nur so strotzte von Energie und Umtriebigkeit, war Vergangenheit, die ab und zu in ihrem Kopf auftauchte, die aber, wie sie befürchtete, langsam Stück für Stück aus ihrer Erinnerung verschwinden würde.

Sie wusste ja, dass Leben Veränderung ist und  dies sein muss, denn sonst gäbe es kein Leben.
 
Wenn man ihr damals gesagt hätte, dass sich ihr Leben so drastisch ändern würde und sie eines Tages so allein wäre, dass nur  die Schar der an ihrem Fenster pickenden  Vögel ihre Freunde  wären, hätte sie gelacht und es nicht für möglich gehalten. An die Tatsache, dass das Alleinsein sie langsam auffressen würde, würde sie sich nie gewöhnen.

Im Hintergrund läuft der emotional bewegende Film „Die Brücken am Fluss“, den sie vor langen Jahren  schon einmal gesehen hatte. Damals hatte sie ihn nicht so dramatisch empfunden, wie sie es heute  tat.

Zwei Menschen,  ein Mann und eine Frau, haben die große Liebe gefunden, können aber nicht zusammen bleiben.  Obwohl sie fast daran zerbrechen, müssen sie sich voneinander trennen,  und Einsamkeit wird in Zukunft ihr Leben beherrschen.

Er sagt einmal zu ihr:

 „ In der Jugend hatten wir alle unsere Träume, die meist nie in Erfüllung gingen. Es ist aber gut, dass wir sie hatten.“

Der Mann am Grill ist noch immer allein. Das Feuer war inzwischen ausgegangen, nur etwas Glut leuchtet einsam und verloren in der hereingebrochenen stillen Nacht.


Idar, 30. Mai 2015
Copyright©2015Gisela Bradshaw