Gute Kameraden
Vor einem Jahr ungefähr habe ich sie das erste Mal gesehen. Es war Liebe
auf den ersten Blick. Sie ist groß, schlank, hat dunkle Augen wie ein
tiefer Bergsee im Abendlicht. Ihre dunklen Haare trägt sie kurz.
Seit dem ersten Blick in ihre Augen liebe ich sie.
Ich höre, wenn sie das Haus verlässt, wenn sie von ihren Besorgungen
wieder kommt. Ich kenne genau das Geräusch ihres Autos, auch die ihrer
Schritte, und ich bin sehr froh, wenn sie nach Hause kommt.
Vor ein paar Monaten war sie plötzlich für lange Zeit spurlos
verschwunden. Oft stand ich damals vor ihrem Fenster und fragte
mich, wo sie so lange Zeit hingegangen sei. Dann auf einmal war sie
wieder da. Ich war sehr glücklich und lief schnell zu ihr. Wir
begrüßten uns zärtlich, sie streichelte mich und ich legte ihr meinen
Kopf an ihre Schulter. Wir verbrachten den langen Abend zusammen auf
ihrer Couch und hörten schöne Musik. Es war schon dunkel, als ich
endlich nach Hause lief.
Wir beide sind sehr gute Kameraden. All die dunklen Wintertage
verbrachten wir gemeinsam. Aber jetzt ist ja endlich ein bisschen
Sommer gekommen, und wir sitzen beide auf ihrer schönen Terrasse mit
herrlichem Blick ins Tal. Es duftet nach den vielen bunten Blumen, die
sie gepflanzt hat. Heute ist so ein herrlicher Sommertag. In den vielen
Bäumen zwitschern Hunderte von Vögel. Vielleicht wollen sie ihr
danken, dass sie sie den ganzen Winter über immer gefüttert hat.
Manchmal war ich richtig eifersüchtig auf diese kleinen Kreaturen. Sie
erzählte mir dann, dass jetzt alle Vögel kleine Babies haben, die
umsorgt und gefüttert werden müssen, damit sie schön schnell wachsen
und flügge werden. Das verstehe ich natürlich. Alle Wesen, ob Mensch
oder Tier, brauchen Liebe und müssen immer genug zum essen haben.
Auch wir Katzen sind stets auf der Suche nach einem gemütlich Plätzchen und
zärtlicher Liebe. All das habe ich bei ihr gefunden. Dafür bin ich sehr
dankbar.
Stellt Euch vor, folgendes kleines Gedicht hat sie mir zu Ehren geschrieben:
Kasimira
Eines Tages,
von einem Moment zum andern,
war sie da,
die stolze Kreatur
gekleidet ganz in Schwarz.
Mit ungründlichen Blick
tauchte sie hinein
tief in meine eigene Welt.
Kasimira, die Dachkatze,
herrscht über alle Dächer,
kommt zu mir und geht,
wie’s ihr beliebt.
Akrobatin
ist sie,
grazile Tänzerin
in schwindelnden Höhn,
weit entfernt von Plätzen,
wo gemeine Katzen
faul ihr Dasein fristen.
Kasimira, die kleine Katze,
Sinnbild der Freiheit,
unberechenbar und wild
wie der Wind,
den niemand halten kann.
"Versonnen nehmen sie die
edlen Haltungen
der großen Sphinxe ein,
die ausgestreckt
in tiefen Einsamkeiten ruhen
und zu entschlummern
scheinen
in endlosem Traum."
Zitat von Charles Baudelaire
Idar-Oberstein, im Mai 2013
Copyright© Gisela Bradshaw
ebenso Gedicht "Kasimira"