Frühling
Nach einem kalten dunklen Winter scheint heute eine warme Sonne, und
der Himmel zeigt sein schönstes Blau. Ich lasse alles stehen und
liegen, schnappe meinen kleinen Rucksack, meine Kamera und meinen
Musikplayer.. und auf geht’s den Berg hinauf, über Regen durchnässte
Felder, dem Wald entgegen.
Die Luft ist lau, die Sonne wärmt mein Gesicht.
Wie ein Gebet erklingen die ersten Takte von Beethovens Sinfonie
Nr. 6,
der Pastorale, an mein Ohr, was perfekt zu diesem Augenblick passt. Ich
habe viele langsame Stücke auf meinem Player, und als dann der zweite
Satz von Bruchs Violinkonzert in seiner vollen Schönheit ansetzt,
denke ich auf einmal intensiv an meine Mutter, mit der ich so oft
dieses Stück gehört habe. Das war in ihren letzten Tagen, und die
Erinnerung an diese Zeit, untermalt von der Süße dieser
Musik, treibt mir
Tränen in meine Augen. Ich glaube, dass ich mein ganzes restliches
Leben diese Erinnerung haben werde. Der Verlust eines geliebten
Menschen ist wie eine Wunde, die niemals heilt.
Plötzlich werde ich aus meinen melancholischen Gedanken gerissen:
unweit von mir steht ein bedächtig grasendes Reh, ganz still ohne Notiz
von mir zu nehmen.
Ganz behutsam nähere ich mich. Das Tier frisst ruhig weiter, nimmt dann
aber offensichtlich Witterung auf und entschwindet mit großen Sprüngen
im nahen Wald.
Ich folge ihm. Der Wald ist voller grün bemooster runder Steine, die
wie kleine runde, grüne Kugeln aussehen. Viele Bäume liegen vom letzten
Sturm entwurzelt auf dem Boden, bizarren Skulpturen ähnlich.
Eine kleine sprudelnde Quelle hat sich einen Weg quer durch das
Waldstück gebahnt. Ihr leises Murmeln und Plätschern macht die
himmlische Stille um mich herum noch intensiver.
Ich wandere weiter, über die nassen Wiesen, fotografiere die prall
stehenden Knospen eines Baumes. Ein paar Tage später, und der
Baum wird in voller Blüte stehen.
Auf einer Bank an dem grünen Wasser eines Teiches mache ich Rast. Der
kleine See ist zum überlaufen voll, und viele kleine Bäche laufen
bergabwärts aus ihm heraus. Nach den letzten Stürmen und ergiebigen
Regengüssen sind Wald und Wiesen vollgesogen mit Feuchtigkeit.
Es ist still hier. Kein Mensch außer mir weit und breit. Ein bunter
Eichelhäher raschelt in einem Baum. An meinem Ohr erklingt der
herrliche, langsame Satz von Beethovens Klavierkonzert Nr. 3. In diesem
Moment passt alles: die erwachende Natur um mich herum und die göttliche
Musik.
Weiter geht meine Tour, einen leichten Berghang hinauf. Oben von dem
Plateau habe ich einen grandiosen Blick über die weiten, grünen Felder
und die sanfte hügelige Landschaft in der Ferne. Zum Träumen schön ist
sie, und all dies ist meine Heimat, der Hunsrück, den die ich nie missen möchte.
Ich habe diesen ersten wunderbaren Frühlingstag in einer herrlichen
Landschaft und mit „meiner Musik“ von Herzen genossen und bin erfrischt
an Leib und Seele in meine vier Wände zurückgekehrt. Weitere schöne Tage
werden folgen, und darauf freue ich mich schon.
Aufbruch
Aus einem langen,
tiefen Schlaf
ist die Natur erwacht,
hat mit Sturm und Regen
Platz gemacht für Neues.
Frisches Grün
sprießt allerorten,
an dem Tiere
dankbar sich erquicken.
Kleine Quellen sind
wie von Zauberhand
entsprungen,
plätschern leise murmelnd
talwärts,
vereinen sich
spielerisch
mit anderen Wassern.
Unter einer Sonne,
die das Blau des Himmels trinkt,
ist nach einem langen kalten Winter
die Natur erwacht.
„Die Natur verleiht allen Wesen und allen Pflanzen, die man ungehindert
sich entwickeln lässt, Poesie und Schönheit. Sie besitzt das Geheimnis
des Glücks, das ihr noch keiner hat entreißen können.“
Zitat von George Sand, aus „ Das Teufelsmoor“
Idar, im April 2015
Copyright©2015 Gisela Bradshaw