Die traurige Geschichte des kleinen weißen Pudels – nachgehakt
«Gefangene Kreatur
Stunde für Stunde, Tag für Tag
sitzt der kleine weiße Pudel
auf dem Balkon,
Läuft ohne Unterbrechung
an Gitterstäben auf und ab,
rauf und runter, hin und zurück.
Ab und zu bleibt er stehen,
hebt sein linkes Pfötchen
kratzt sich ausgiebig hinter seinem linken Ohr.
Nach kleiner Rast fängt er wieder an zu traben,
ziellos, über Stunden,
den ganzen Tag lang,
stumpfsinnig auf und ab,
hoch und runter,
ein Tun,
das jeder Abwechslung entbehrt.
Vor dem hässlichen Weihnachtsmann
aus Plastik, mit dicker Nase und rotem Hut
erschrickt er, bleibt stehen,
hebt sein Beinchen,
schüttelt sich
und fängt von neuem an zu traben.
Ab und zu hält inne,
späht sehnsuchtsvoll
durch die Stäbe in eine andere,
lebendigere Welt,
in der andere Hunde
glücklich Seit an Seit mit Frauchen
entspannt vorüber gehn.»
Copyright© Gisela Bradshaw
St. Catharines, Canada, Ontario
26. December 2016
Diese
Ballade über eine gefangene Kreatur hatte ich geschrieben, als ich
Weihnachten letzten Jahres (2016) aus Kanada zurück kam.
Ich
hatte diesen Hund während des Besuches bei meinem Sohn
beobachtet, d.h. ich musste Tag für Tag mitansehen, welch erbärmliches
Leben er hat. Direkt gegenüber von unserem Haus liegt der Balkon,
auf dem dieses arme Tier praktisch gefangen ist. Es tat mir unendlich
Leid, was ich in meinen Zeilen zum Ausdruck bringen wollte.
Sein Geschick erinnerte mich an das wunderbare Gedicht von Rainer Maria
Rilke „Der Panther“, das so anfängt:
«Sein Blick ist
vom Vorübergehen der Stäbe so müd geworden, dass ihn nichts mehr
hält, ihm ist' , als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter
tausend Stäben keine Welt....«
Auch dieses Tier war dazu verdammt, hinter vielen Stäben auf- und ab zu laufen, Tag für Tag, ohne jede Abwechlung.
****************************************************************************************************************************
Viele
Monate später – im Mai 2017 – war ich nach Ontario, St.
Catharines, zurückgekommen. Der kleine, weiße Pudel, der damals im
Dezember 2016 so sehr mein Mitleid erregt hatte, war noch immer da,
trabte so wie damals den ganzen Tag den Minibalkon auf und ab. Immer
wenn ich aus dem Fenster sah, erblickte ich ihn, weiß, flauschig, eine
Kreatur, die man lieb haben musste.
Er tat mir so
leid. Aber was sollte ich tun? All die vielen Nachbarn mussten ihn doch
auch wahrnehmen, immer sehen, weil sie ja dort ihren Wohnsitz
haben und nicht wie ich nur für kurze Zeit zu Besuch hier
bin. Aber offensichtlich hat man hier in Kanada ein anderes
Verhältnis zu Tieren als ich es von Deutschland gewohnt bin, was ich
später in Gesprächen mit ein paar Leuten bestätigt bekam.
Tag für Tag sah ich das Gleiche:
Um
die Mittagszeit kommt die Hundebesitzerin nach Hause. An der Tür zum
Balkon packt sie den Kleinen mit einem Ruck am Genick und schleift ihn
grob über den Balkonboden. Ich höre ihn leise winseln.
Sie bückt
sich und nimmt etwas vom Boden auf, was sie kurzerhand über die
Balkonbrüstung herunter wirft. Vor der Garage unten liegen schon einige
grün eingepackt Bündel, wahrscheinlich Kot des Tieres.
Nach
ein paar Minuten kommt die Frau wieder zur Balkontür, öffnet einen
kleinen Spalt der Tür, schiebt schnell einen grünen Teller durch.
Wahrscheinlich ist es die ihm gegönnte Ration an Futter.
Dann
fährt die Frau mit ihrem Auto weg. Gegen Abend kehrt sie
wieder, mit einem kleinen Mädchen im Schlepptau, offensichtlich ihre
Tochter. Der kleine Hund freut sich wie verrückt, läuft aufgeregt auf
dem Balkon hin und her. Die Balkontür wird wieder um einen winzigen
Spalt geöffnet, eine Hand holt den kleinen Teller herein, die Tür geht
wieder zu.
Der Pudel läuft noch ein paar Mal
aufgeregt hin und her. Dann hält er inne, bleibt dicht an dem
Balkongitter sehen und blickt bewegungslos und still durch die Stäbe.
Eine
Frau kommt vergnügt mit ihrem kleinen Pinscher an der Leine
aus dem benachbarten Haus und macht sich mit ihm zu einem
Abendspaziergang auf. Der kleine Pudel schaut beiden nach,
sehnsüchtig, verharrt eine kleine Weile und fängt dann wieder an,
auf seinem Balkon auf- und abzurennen. So wie jeden Tag.
So wie er es, wie mir jetzt klar geworden ist, all die Monate, in denen ich in Deutschland war, gemacht hatte.
Ich
verfolge das traurige Geschehen und kann fühle direkt die
Lieblosigkeit fühlen, in der dieses Tier sein kleines Leben verbringen
muss.
Noch in Kanada
versuchte ich, etwas über das Schicksal des Tieres herauszufinden. Eine
Nachbarin erzählte mir, der Pudel sei eine „Scheidungshund“,
der bei der Trennung des Paares zwischen die Fronten
geraten sei. Der Ex-Ehemann hätte das Tier liebend gern
übernommen, war mit seinem Wunsch bei seiner erbosten und rachsüchtigen
Exfrau aber nicht durchgekommen.
Meine Nachbarin
erzählte weiter: Sie und ein anderer tierlieber Nachbar hätten bereits
versucht, die Polizei zu mobilisieren. Der Beamte, der die
Hundebesitzerin dann, wahrscheinlich auch wegen des Hundekots
aufsuchte und zur Rede stellte, sei von ihr kalt abgewiesen
worden, es sei ihre Angelegenheit, was sie mit ihrem Hunde machte. Er
bekäme Futter und Wasser, und das wäre genug.
In
der Tat hat Kanada ein Tierschutzgesetz, das diesen Namen nicht
verdient. Futter und Wasser sind das einzige, was für die Haltung eines
Tieres vorgeschrieben ist. Wo und wie es gehalten wird, obliegt ganz
und gar dem Besitzer. Eine Gesetzesvorlage zur dringend notwendigen
Verbesserung des Tierschutzes ist, wie ich hörte, vorhanden, aber
offensichtlich von nachgeordneter Bedeutung.
In einem sehr interessanten Bücherantiquariat traf ich einen älteren Mann
mit einem großen Hund. Auf den ersten Blick war der Mann
mit seinem struppigen Bart und seiner abenteuerlichen Kleidung
eher eine fragwürdige Erscheinung. Jedoch seine
nette und liebevolle Art, wie er mit seinem ebenfalls
struppigen Hund umging, gefiel mir sehr.
Ich erzählte
ihm und der freundlichen Besitzerin des Ladens von meinen
täglichen Beobachtungen. Sie bestätigten mir, dass es in Kanada
wirklich nur genüge, ein Tier ausreichend zu füttern. Alles andere
sei Privatsache. Ein Tier, ob Hund, Katze oder Pferd, sei nur ein
„subject“, eine Sache ohne jegliche Ansprüche. Die meisten Leute aber
würden ihre Haustiere gut behandeln. Mein geschilderter Fall sei nur
eine traurige Ausnahme, die es natürlich gäbe.
Ich
sah also, dass es für mich aussichtslos war, etwas für das
arme Tier zu tun. Trotzdem machte ich mich eines Morgens auf zu
einer Adresse, die ich auf meinem täglichen Weg auf der Welland
Avenue entdeckt hatte. Es war ein Tierschutz-Vereins, der
sich „Niagara Action for animals“ nannte. Leider aber traf ich
dort nie jemanden an. Im Internet fand ich eine e-mail Adresse,
und so setzte ich ein entsprechendes Schreiben auf, das ich dorthin
schicken würde.
************************************************************************************************************
„Niagara Action for animals, 94 Welland Aveneu, St. Catharines, ON L2R2N1
To whom it may concern!
Re: Inapprobriate dog keeping in Du…, Str. 23, .St. Catharines, ON, Ca.
Visiting
my son in St. Catharines in May 2017 I was again
witness of the sad life of a little white poodle living opposite
of my son' s house in Montebelllo Place. Owner of the animal is a
younger women whose name I do not know.
On my
earlier visit at my son's place last
Christmas (2016) I had made the same observations.
The dog had to stay outside all the time even at freezing
temperatures. The only thing he could do was to circulate around and
around on a tiny balcony.
This time also, half
a year later, the poodle had to spend all his time on this
little balcony. He also had to use it as toilet
as nobody took him out for walks. As to the excrements I noticed that
the dog keeper just threw them over the balcony onto the street
below.
The animal whined and barked a lot,
continuously walked up and down the little space that was given to him,
scratched at the balcony door signaling his wish to get inside. All in
vain.
I talked to a neighbour about that little dog
and she confirmed my observations. She told me that she and one
of her neighbours who also keeps a dog, had informed he police. But
after having visited and spoken with the resp. woman the police said
that they had nothing in their hands against the dog owner. As
long as she fed and gave water to the animal it would be fine and
according to the existing law.
I am a German
citizen and live in a country where all animals are
protected very well and people get fined massively if they torture or
badly treat any kind of animal.
I am writing you
this mail hoping that perhaps your organisation might be able to
help and make life of this dog worthwhile again. I think that each
animal on earth has deserved that and also a right for it. A person who is not caring for an animal should not be allowed to keep it.
With best and hopeful regards from Germany
G.B.«
Meine mail
wurde weder bestätigt noch beantwortet. In naher Zukunft werde ich
wieder nach Kanada fahren und sehen, was aus dem kleinen, süßen Pudel
geworden ist. Ich kann nur für ihn hoffen!
Zitate von Franz von Assisi (1182 – 1226), eigentlich Giovanni Bernadone,
katholischer Heiliger, Stifter des Franziskanerordens
« Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir.
Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir, also sind sie uns gleichgestellte
Werke des allmächtigen Schöpfers – unsere Brüder.»
«Es werden mehrere Jahrtausende von Liebe notwendig sein, um den Tieren das ihnen von
uns zugefügte Leid heimzuzahlen.»
Idar, im Juli 2017
Copyright©Gisela Bradshaw