Die
Stubenfliege
Es war ein
anstrengender Tag. Aufgestanden war er um 5 Uhr morgens in
Northhampton, mit
dem alten klapprigen Auto bis Milton Keynes gefahren, hatte
es dort
abgestellt, war mit der U-Bahn
weitergefahren bis Golden Greens und dort in den Bus zum Flughafen
Stanstead
gestiegen. Als er endlich in der
Maschine nach Frankfurt am Main saß, blickte er auf stattliche
acht Stunden zurück, die er bereits unterwegs war.
Er war
hungrig wie ein Wolf und vor allen Dingen hatte er wahnsinnigen
Durst. Der Flug mit der Billig- Airline war wie
immer unspektakulär in einem mehr als frugalen Ambiente. Um die
günstigen
Flugpreise halten zu können, wird von Seiten dieser Airline
auf jeden Komfort verzichtet, den andere sich teuer
bezahlen lassen. Aber er
wusste das und akzeptierte es auch. So unterdrückte er
seinen Hunger und seinen Durst und versuchte,
die Flugzeit mit einem Nickerchen zu überbrücken. Er war
wirklich
todmüde und blickte mit hoffnungsvoller Zuversicht einem langen,
ungestörten
Schlaf in einer ruhigen Wohnung entgegen.
Seine Mutter
holte ihn am Flughafen ab – wie immer war es schön, sich
nach längerer Zeit
wieder zu sehen. Aber noch war er nicht zu
Hause. Zwischen seinem heiß ersehnten Bett und ihm lag noch eine
gute Stunde
Fahrtzeit mit dem Auto quer durch die an sich wunderschöne
Landschaft des
Hunsrücks, für die er jedoch in seinem
total erschöpften Zustand nicht die rechte Begeisterung aufbringen
konnte. Seine Mutter war feinfühlig genug, ihn nicht
mit Ohs und
Ahs über die herrlichen Aussichten zu nerven und konzentrierte
sich schweigend
auf die Fahrt.
Endlich
zuhause! Er hatte aufgegeben, die Stunden zu zählen, die er in Auto, Bus und
Flugzeug verbracht hatte. Er schätzte es waren mit Wartezeit auf dem Airport
mindestens 14 Stunden, die er durch die Lande gefahren war.
Nach einem
kleinen Imbiss und einem schönen kühlen Bier war es endlich soweit, und er
streckte und reckte sich genüsslich in
seinem Bett. Ein paar Minuten blätterte er noch in seinem Buch, das ihm aber
nach kürzester Zeit aus seinen Händen glitt. Er versank in einen tiefen, bleischweren Schlaf.
Ein
durchdringendes, metallisches Summen riss ihn jäh aus seinen Träumen.
Schlaftrunken betätigte er den
Lichtschalter und sah eine dicke, grün
schillernde Stubenfliege, eher wohl eine Schmeißfliege, die mit unglaublicher
Geschwindigkeit in Kreisen durch die Luft sauste. Völlig ungeniert und wahllos
nahm sie Platz, wo es ihr gerade passte, auf seinem Gesicht, seinem Kopfkissen
– überall. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Statt einen erquicklichen Schlaf
genießen zu können, war er jetzt gezwungen, auf Jagd nach diesem kleinen Ungeheuer
zu gehen. Mit den verschiedensten Methoden versuchte er es zu fangen: mit einer
zusammengerollten Zeitung, einem weichen Hausschuh, einem Handtuch – es war
vergeblich. Eine Fliegenklatsche, von deren Vorhandensein er wusste, war
unauffindbar, wie immer, wenn man sie brauchte. Die Fliege schien unfangbar zu
sein und genau zu wissen, wann der
nächste Schlag auf sie kam. Wie von Sinnen raste sie weiter, von Platz zu
Platz, unter den Tisch, in die Lampe. Es war ihr einfach nicht beizukommen.
Erschöpft gab er den ungleichen Kampf auf und sank, mit der Zudecke über seinem
Kopf, zurück auf sein Lager, zurück in
tiefen Schlaf, der allerdings nur von kurzer Dauer sein sollte.
Die Fliege
war, trotz der späten Stunde und der wilden Jagd auf sie alles andere als
erschöpft. Wahrscheinlich dachte sie, er wollte mit ihr lustiges Fangen spielen. Er wusste es nicht. Todmüde,
wütend und verzweifelt überlegte er, wie er dieses kleine Untier mit seiner
überlegenen menschlichen Intelligenz aus dem Feld schlagen könnte. Und
plötzlich hatte er einen Plan, der todsicher funktionieren müsste: er schleppte
sich in die Küche, nahm eine kleine flache Schale und füllte den Grund mit
süßem klebrigem Likör, der, wie er wusste, schon ein paar Jahre herumstand. Die
Schale stellte er auf den kleinen Tisch neben seinem Bett und wartete ab. Er
jubilierte innerlich, als er sah, dass sich die Fliege neugierig dem Gefäß mit
der intensiv duftenden Flüssigkeit näherte und vorsichtig daran nippte. Dann
jedoch drehte sie sich gelangweilt ab
und flog wieder wie ein Rasenmäher surrend in Kreisen durch das Zimmer.
Er schaute
auf seine Uhr: zwei Stunden schon befand er sich in diesem absurden Kampf gegen
diese lästige Insekt. Und noch immer war keine Lösung des Problems in Sicht.
Zwei Stunden, in denen er selig hätte schlafen und sich von seiner strapaziösen
Reise erholen können.
Dann auf
einmal sah er etwas, was sein Herz jubeln ließ: die Fliege saß in all ihrer
grün schillernd Pracht tief in dem süßen Gesöff und strampelte verzweifelt mit
ihren Beinchen. Für Mitleid jedoch hatte
er jetzt keinen Nerv. Schnell nahm er sein Buch und legte es auf die Schale.
Der Kampf war endlich beendet und zu seinen Gunsten ausgegangen. Mit letzter
Kraft und unendlich erleichtert sank zurück in seine
Kissen, atmete tief durch und fiel von einem Moment auf den anderen in einen
todesähnlichen Schlaf – und in einen Alptraum: In seinen Träumen war er eine dicke
Schmeißfliege in einem prächtigen grün schillernden Kleid, die von einem Riesen
gejagt und nach einem langen Kampf gnadenlos in einem See von süßem Saft
ertränkt wurde.
Schweißgebadet
wachte er auf. Dicht hinter seinem Ohr hörte er ein sirrendes Geräusch. Er
konnte es nicht fassen, aber es war wahr: eine dicke fette Schmeißfliege flog
elegant auf und drehte sich in lustigen Pirouetten durch den Raum. An dem Rand
des Likörschälchens machte sie halt, beugte sich graziös vor, nippte spielerisch
an dem verschütteten Rest am Rand, flog hoch und verschwand mit metallischem
Surren durch das geöffnete Fenster.
Idar, im
Dezember 2009
Copyright© Gisela Bradshaw