Der unsichtbare Geliebte – ein Traum
Der Zug rattert durch die Nacht entlang der zerklüfteten Küste der Côte d'Azur.
Schlaftrunken höre ich mich sagen:
„...Les Catalanches*....ich kenne diese Gegend hier, bin hier schon einmal gewesen
vor sehr langer Zeit...“
„Wunderschön, einfach ganz wunderschön“ höre ich seine Stimme, „ hier muss ich noch
ein mal herkommen....mit dir.......dans les Catalanches........“ .
Ich möchte ihn berühren, finde ihn aber nicht in der Dunkelheit. Ein Schatten beugt sich
über mich, gleitet schemenhaft vorbei. Er ist es, der sich ein Stück neben mir niederlässt.
Er fängt an, aus einem Buch vorzulesen, wunderschöne Verse eines Dichters.
Ich kenne diese Texte, denke ich. Aber warum ist er nicht näher bei mir?
Warum nur?
Ich habe Sehnsucht, möchte seine Hand halten, seinen Atem auf meiner Haut spüren.
Alles scheint so weit weg, das Rattern des Zuges, die Stimmen meiner Kinder,
die plötzlich von weit her herzzerreißend süß, an meine Ohren klingen.
Ist alles ein Traum oder Wirklichkeit? Ich weiß es nicht, fühle nur meine Sehnsucht,
mein Verlangen, so stark, dass ich davon erwache.
Allein.
«Der Traum ist der Natur lieblichste Spende. Gewährt er doch all unseren Wünschen
Raum, wie man es im wachen Leben niemals fände.«
Zitat von Sandor Petöfi „Der Traum“.
(S. Petöfi (1823 – 1849) war ein ungarischer Dichter, der 1849 im ungarischen Freiheitskampf
gegen die Habsburger in der Schlacht von Segesvar fiel.)
*
- Les catalanches - ist ein Traumwort. Es gibt aber "calanques", die in Wikipedia wie folgt beschrieben
werden, und die ich auf einer meiner Südfrankreichreisen gesehen habe:
»Eine Calanque (korsisch: Calanca, pl. calanche) ist ein enger, steilwandiger Küsteneinschnitt im
Kalkgestein des Mittelmeeres. Eine solche Bucht hat einen fjordartigen Charakter. Besonders
reizvoll ist das Massif des Calanques entlang der Küste des Départements Bouches-du-Rhône
in Südfrankreich auf 20 km Länge zwischen Marseille und Cassis.»
Idar, 8. April 2014/update Febr. 2019/update 12. Nov. 2021
© Gisela Bradshaw