Antonia & der Fremde
Ein Märchen
von
Gisela Bradshaw
Anmerkung zu meinem Märchen:
Ich habe es in der Art der alten Märchen geschrieben
die noch heute bei Kndern beliebt sind, viel vorgelesen, sogar auch verfilmt werden,
Sie spielen immer in einer Phantasiewelt, beinhalten
aber stets eine Portion Wahrheit. Deshalb sind sie zeitlos und wie ich meine,
nicht aus der Weltliteratur wegzudenken.
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Prolog
„....die wahre Liebe trifft wie der Blitz mitten ins Herz,
und sie ist stumm wie der Blitz.....“Gorki, Italienische Märchen
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Der Traum
Im Traum
suchte ich den Weg zu Dir.
Doch der Weg war weit
und voller Hindernisse.
Ich wusste,
Du wartest auf mich
am Ende des Tals,
bereit,
mich in Deine Arme zu schließen,
voller Liebe, voller Glut.
Doch, ach!
Dieser Pfad,
er führte ins Nichts,
verlor sich im Nebel.
Ich lief und lief
voller Sehnsucht nach Dir.
Ich wachte auf und fragte mich:
Wann werde ich jemals ankommen?
Antonia und ihre WeltAufseufzend schrieb Antonia die letzte Zeile ihres Gedichtes und legte dann die Feder aus der Hand. Wieder einmal hatte sie diesen sehnsuchtsvollen Traum gehabt, der sie mit solch bangem Gefühl aufwachen ließ. Sie stand auf und ging zum Fenster ihres Schlafzimmers. Gedankenverloren blickte sie hinaus in die liebliche Landschaft, über Hügel und Täler, die von der gerade aufgehenden Sonne in sanftes Morgenlicht getaucht wurden.
Dieser merkwürdige Traum! Er ging ihr nicht aus dem Sinn. Warum nur träume ich ihn immer wieder, fragte sie sich. Ich bin doch glücklich mit meinem Leben, und ich habe alles, was ich brauche.
Prinzessin Antonia war das siebte von insgesamt zehn Geschwistern, die inzwischen alle ihr Zuhause verlassen hatten und eifrig dabei waren, große Familien zu gründen. Oftmals hallte die Burg wider von Kinderlachen und fröhlichem Geplänkel der jungen Eltern. Nur Antonia war, obwohl sie schön und auch klug war, hatte noch keinen der sie umwerbenden Prinzen erhört. Sie lebte noch immer bei ihren alten Eltern auf einer malerisch gelegenen Burg in der Nähe von Grosseto, unweit von Florenz und dem ligurischen Meer. An manchen Tagen, wenn der Wind günstig stand, hatte man das Salz des Meeres auf den Lippen.
Antonia war achtzehn und ein großes, schlankes Mädchen mit langen, blonden in weichen Locken über ihre Schultern fallenden Haaren. Ihre großen dunkelbraunen Augen bildeten einen reizvollen Kontrast zu ihrer hellen Mähne und der fast durchsichtig scheinenden Haut. Sie war ein umgänglich und sanft, und alle auf der Burg liebten sie. Sie verbrachte viel Zeit mit Lesen, Schreiben und Nachdenken, was für eine junge Frau, die vor über 100 Jahren lebte, ungewöhnlich war. Mit ihrem wunderschönen Schimmel, einem Geschenk ihres Vaters zu ihrem 18. Geburtstag, machte sie lange Ausritte durch die atemberaubend schöne Landschaft der toskanischen Berge und Täler. Manchmal ritt sie sogar bis ans Meer und blickte von den Klippen hinunter in das blaugrüne Wasser, das sich tosend an den Felsen brach.
Doch am liebsten spielte sie auf ihrem Flügel, eigenartig sehnsüchtige Weisen, die alle Vorübergehenden aufhorchen und verweilen ließen. Solch eine Musik hatte man noch nie zuvor gehört, und niemand wusste, woher sie kam. Nur wenige Vertraute der Prinzessin kannten den Ursprung dieser wunderbaren Weisen, es war Antonia selbst, die sie komponierte. Wenn sie traurig oder überglücklich war - was sehr selten vorkam - ging sie an ihr Klavier und fing an zu spielen. Es war, als bewegten sich ihre Hände wie von selbst über die Tasten. Sie wiederholte sich nie, es waren immer neue, wunderbare Stücke, die wie eine Quelle aus ihr heraus flossen.
Sie zeichnete keine Noten auf. Wenn man sie fragte, warum sie dies nicht tue, antwortete sie lächelnd:„Wozu aufschreiben? Ich selbst bin die Musik. Sie ist, solange ich lebe, in mir, und sie lebt nur, solange ich lebe. Wenn ich eines Tages nicht mehr bin, ist auch meine Musik gestorben. So ist es gut, und so soll es auch weiterhin sein.“
Die Prinzessin war nicht nur eine begnadete Pianistin. Im Laufe der Zeit hatte sie sich auch ein großes Wissen erworben. Sie sprach fließend sechs Sprachen, selbst die Sprache des Reiches der Mitte, das Mandarin, beherrschte sie mühelos. Ohne Probleme übersetzte sie die schwierigsten lateinischen Texte der römischen Philosophen und Dichter, von denen sie Ovid ganz besonders schätzte.
Neben ihrer geliebten Musik war die Geographie ihre große Leidenschaft.Sie war bewandert in diesem Fach und konnte die schwierigsten Fragen beantworten. Mühelos skizzierte sie Karten der verschiedensten Länder und bestimmte bis auf den Punkt genau die Lage einzelner Gebirge oder Städte. Oftmals, wenn sie nicht gerade auf ihrem Flügel ihre wundervolle Musik spielte, saß sie am Fenster ihres Turmzimmers und blickte gedankenverloren hinaus in die herrliche Landschaft ihrer Heimat.
Sie stellte sich vor, sie unternähme eine große Expedition, irgendwo in Afrika, Asien oder einem anderen fernen Land. Sie sah alles genau vor sich: die weiten Steppen und Savannen, die blauen Berge von Kenia und Malawi, die Elefantenherden, die gemächlich zum Fluss herunterwanderten. Oder die Herden graziler Gazellen auf der Flucht vor hungrigen Löwen. Ganz besonders fasziniert war sie aber von den sagenumwobenen, orientalischen Städten im fernen Asien und den prächtigen, duftenden Gärten, in denen prachtvoll gekleidete Männer und Frauen lustwandelten.
Sie war sicher, dass sie diese Länder nie sehen würde, denn zu ihrer Zeit war das Reisen noch sehr beschwerlich und nur einigen wenigen Forschern vorbehalten. Wenn ein neuer Reisebericht oder eine Veröffentlichung über archäologische Ausgrabungen im fernen Orient erschien, war die Prinzessin eine der ersten, die ein Exemplar davon in den Händen hielt.
In dem Turmzimmer der Burg hatte sie sich eine kleine Sternwarte eingerichtet. In mancher heller Nacht saß sie an dem Teleskop und blickte traumverloren in die Unendlichkeit des südlichen Sternenhimmels. Sie versuchte sich die unermessliche Weite des Alls vorzustellen: Wenn das Sternenlicht hier bei uns auf der Erde ankommt, existieren die Sterne bereits nicht mehr. Das heißt also, was wir hier unten betrachten, ist im gleichen Augenblick da oben bereits Vergangenheit, dachte sie. Wie kurz ist, daran gemessen, mein Leben und das aller Menschen auf der Erde, dachte sie.
Antonias Eltern waren inzwischen in die Jahre gekommen und machten sich Sorgen um ihr jüngstes Kind, das inzwischen zu einer erwachsenen, schönen jungen Frau herangewachsen war. Viele junge Männer aus den umliegenden Ländereien hatten in der Burg vorgesprochen, um die schöne Prinzessin zu freien. Allen hatte das kapriziöse Kind eine Absage erteilt. Keiner der Kandidaten entsprach ihren Vorstellungen. Die jungen Männer waren zwar alle von edler Herkunft und verfügten meist neben ansehnlichen Reichtümern auch über eine solide Allgemeinbildung. Trotzdem vermisste die Prinzessin irgendwas an ihnen. An jedem hatte sie irgendetwas auszusetzen: der eine war zu dick, der andere hatte eine „Kartoffelnase“ und war viel zu alt (schon dreißig!). Kurzum: Sie wusste genau, dass sie diese Männer nicht wollte. Sie fühlte sich noch viel zu jung, sich für alle Zeiten für einen Mann zu entscheiden. So war sie immer froh, wenn die „Bräutgamschau“ vorbei war und sie wieder zu ihren Büchern oder ihrer Musik zurückkehren konnte.Sie stellte sich ihren Mann und ihr Leben einfach anders vor. Zu sehr liebte sie ihre Unabhängigkeit, ihre Musik und ihre Studien.
Die Leute auf der Burg glaubten schon nicht mehr daran, dass „ihre Antonia“ jemals heiraten und die Burg verlassen würde. Nur ihre alten Eltern hatten noch ein kleines bisschen Hoffnung, dass vielleicht doch noch der Richtige kommen würde, eines Tages vielleicht… Auf keinen Fall wollten sie aber ihre Tochter zu einer Heirat zwingen. Dazu liebten sie sie zu sehr. Sie selbst hatten aus Liebe geheiratet und wussten, wie wichtig es ist, dass Mann und Frau sich gut verstehen, nicht nur im Augenblick der ersten Liebe, sondern ein ganzes langes Leben lang.
Antonia und der Fremde
Eines Morgens machte sie einen längeren Ausritt auf ihrem geliebten Schneeweißchen, wie sie ihren Schimmel genannt hatte. Es war Frühling und die Natur aus ihrem Winterschlaf erwacht. Alles grünte und blühte. Die Weiden unten am Fluss hatten sich über und über mit flaumigen Weidenkätzchen geschmückt und ächzten unter ihrer blühenden Last. In den Wiesen leuchteten weiße Schneeglöckchen und Krokusse in allen Farben. Die Luft war lau und roch würzig-frisch. Die Amseln waren aus ihren Winterquartieren hervor gekommen und sangen liebliche, kunstvolle Lieder. Es war ein Tag wie aus dem Märchen und eine Wonne, auf der Welt zu sein.
Langsam ritt die Prinzessin durch die blühende Landschaft, den Zauber des Augenblicks mit vollen Zügen genießend. Sie fühlte sich sorglos und glücklich. In ihrem Kopf hörte sie schon jetzt die Musik, die sie am Abend auf ihrem Flügel spielen würde. Sie war sorglos und vollends glücklich. Ein leichter Frühlingswind ließ ihre langen, blonden Locken und ihren weißen Seidenumhang flattern. Die Bauern auf den Feldern hielten in ihrer Arbeit inne und winkten dem schönen jungen Mädchen mit bewundernden Blicken nach.
„Wann sie wohl endlich unter die Haube kommt? Wer mag wohl der Glückliche sein?" fragten sie sich.
Antonia näherte sich dem Korkeichenwäldchen, ihrem bevorzugten Platz, wo sie im Schatten einer wunderbar gewachsenen Eiche, so oft sie konnte, ihren Träumen nachhing. Die Sonne war heute schon so warm, dass sie ihre Decke auf dem Waldboden ausbreitete . Sie freute sich schon darauf, still in dem grünen, weichen Moos zu liegen und durch die mächtigen Wipfel des Baumes in den blauen Himmel zu schauen. Langsam trabte sie näher.
Doch was war das? Jemand hatte bereits ihren Platz besetzt! Sie erblickte einen südländisch aussehenden, jungen Mann bekleidet mit einem weißen Hemd mit weiten, oben gerafften Ärmeln, einem schwarzen ärmellosen Lederwams, eng anliegenden, dunkelgrünen Reithosen und schwarzen hohen Stiefel aus offensichtlich sehr weichem schwarzen Leder. Auf seinem schwarzen, lockigen Haar saß keck ein kleines schwarz-grünes Barett.
Ganz offensichtlich was er kein Italiener. Irgendwo hatte sie schon einmal ähnlich gekleidete Leute gesehen. Aber woher kam dieser merkwürdige Fremde, und was machte er hier? Langsam kam sie näher. Kurz vor dem Fremden machte sie halt.
„Buon giorno, ich grüße Euch, Fremder. Wo kommt Ihr her und was macht Ihr hier?"
Der junge Mann erhob sich langsam, zog höflich sein Barett vom Kopf und verneigte sich leicht und graziös. Zu ihrem Erstaunen erwiderte er ihren Gruß auf Italienisch, das er mit einem leichten Akzent sprach. Seine Stimme war dunkel und klang leicht heiser.
„Buon giorno anche, bella donna! Ich komme von weither, von den Ufern des Euphrat und bin mit meinen Leuten auf der Durchreise nach Zaragoza in Spanien. Wir sind schon einige Wochen unterwegs und machen hier in der Gegend nur eine Rast. Ein paar meiner Leute wurden von Wegelagerern angegriffen und verwundet. Sie sollen hier neue Kraft sammeln für den Rest unserer Reise!“
Mit seinen dunklen oval geschnittenen Augen lächelte er sie an.
Prinzessin Antonia, völlig gefangen von seinem Blick, schwang sich von ihrem Pferd, band es fest und ging dem Fremden entgegen. Er kommt vom Euphrat, dachte sie mit klopfendem Herzen. Plötzlich erinnerte sie sich an Bilder eines Reiseberichtes über eine Expedition zum Berg Ararat in der fernen Türkei, einen Bericht, den sie vor einiger Zeit mit großem Interesse gelesen hatte. Die Männer dort trugen ähnliche Kleidung wie dieser Mann.
Sie dachte an die faszinierenden Veröffentlichungen einer internationalen Archäologengruppe unter Leiter des Engländers Major H.C. Rawlinson, die auf den Spuren der Sumerer und Hethiter durch das Zweistromland des Euphrat und Tigris gereist war. In den Trümmerhaufen der assyrischen Städte Ninive und Babylon hatten die Forscher eine große Anzahl assyrisch-babylonische Keilschriften entdeckt, die sie dann in Zusammenarbeit mit anderen englischen Archäologen entziffern konnten. Es war Rawlinson, der eine Verbindung zwischen der persischen und der babylonischen Keilschrift herstellte, indem er nachweisen konnte, dass das System der Keilschrift von vielen verschiedenen Gruppen und Sprachen (von semitisch sprechenden Babyloniern und Assyrern) für hunderte von Jahren benützt wurde. Später fand man heraus, dass es die Sumerer waren, die das System der Keilschrift in grauer Vorzeit erfunden hatten.
Diese für archäologisch Interessierte spektakulären Berichte hatte sie vor kurzem noch verschlungen, und wie viel hätte sie darum gegeben, einmal dieses sagenumwobene, fruchtbare Land mit all seinen aufregenden Zeugnissen einer ruhmreichen Vergangenheit kennen zu lernen. Mesopotamien oder das Land des fruchtbaren Halbmondes - allein schon die Namen erweckten in ihr Sehnsucht. Namen wie Nebudkadnezar, dem letzten Fürsten auf dem Thron zu Babel, der ungefähr 600 Jahre vor Christi gelebt hatte, kamen ihr in den Sinn. Unter seiner Führung waren damals Baukunst und Literatur zur vollen Blüte gelangt. In der Astronomie hatte es ungeahnte Fortschritte gegeben: es gelang, Sonnen- und Mondfinsternis vorauszuberechnen. Man machte Aufzeichnungen über Himmelskörper, die ohne Unterbrechung über 300 Jahre liefen, die längste jemals durchgeführte astronomische Beobachtungsreihe. Die Resultate übertrafen an Genauigkeit bis ins 18. Jahrhundert hinein noch die der europäischer Astronomen.
Fast zweitausend Jahre lang war von den Ländern des fruchtbaren Halbmondes, dem ältesten Kultur- und Zivilisationszentrum seit der Steinzeit der Menschheit hellstes Licht ausgegangen, ein Licht, das ca. 500 vor Christus begann, um dann langsam aber unaufhaltsam für immer zu verlöschen.
All das schoss ihr durch den Kopf, als ihre Blicke auf dem jungen Mann ruhten, der im Sonnenlicht vor ihr stand und sie unverwandt anschaute. Er war einfach umwerfend schön, genau das, was sie unter einem attraktiven Mann verstand: ebenmäßige, klare Gesichtszüge mit einer ausgeprägten, leicht gebogenen schmalen Nase, großen dunklen Augen, einem ausgeprägten Kinn. Seine Gestalt war schlank, aber durchtrainiert, nicht zu groß. Seine Hautfarbe war die der Menschen aus dem Mittelmeerraum, im satten Braun von Oliven. Sein Haar war dunkel, fast schwarz und ringelte sich in Locken um sein schmales Gesicht. Er erinnerte sie an die in Marmor gehauenen Jünglinge mit ihren edlen Gesichtern und durchtrainierten Körper, auf die man bei den Ausgrabungen in Pompeji gestoßen war und die sie vor einiger Zeit in den Museen in Florenz und Rom bewundert hatte. Aber dieser Mann hier war keine kalte Marmorskulptur; er war echt, aus Fleisch und Blut.
Sein höfliches Räuspern brachte sie zurück in die Gegenwart. Wie sie schon bemerkt hatte, war sein Italienisch nicht sehr gut, aber es reichte völlig für eine gute Verständigung aus. Bald befanden sie sich in einem angeregten Gespräch. Er erzählte von seiner langen Reise, seinen Abenteuern, die er mit seinen Kameraden erlebt hatte und den Gefahren, denen sie Gott sei Dank unversehrt entkommen waren.
Einmal, in Südalbanien wären sie von mordlustigen Wegelagerern überfallen worden, und allein der Schnelligkeit ihrer Pferde war es zu verdanken, dass sie nur mit ein paar Kratzern davon trugen. Einer seiner Männer hätte allerdings eine leichte Verwundung an der Schulter, die er vor der Weiterreise auskurieren sollte. Alle seien auch entzückt von der hiesigen Gegend mit den lieblichen Tälern und Höhen und dem Klima, das genau so mild wir in ihrer Heimat war.Prinzessin Antonia lauschte wie gebannt den Worten des Fremden. Er übte einen eigenartigen Reiz auf sie aus, den sie sich kaum erklären konnte. Ein Mann aus dem sagenumwobenen Land am Tigris! Sie fühlte, dass diese Begegnung ihr weiteres Leben beeinflussen würde. Nur mit Mühe riss sie sich aus ihren Gedanken und stand langsam auf:
„Ich muss zurück auf die Burg. Dort wartet man sicher schon auf mich!“
Sie hatte das Gefühl, dass der Fremde gerne weiter mit ihr geplaudert hätte. Vielleicht war er auch ein wenig traurig, dass sie ihn so schnell verlassen wollte. Er war aufgestanden, um ihr in ihren Sattel zu helfen. Bei seiner Berührung zuckte Antonia unwillkürlich zusammen. Es war ein ganz komisches Gefühl, das sie von oben bis unten durchfloss.
„Können wir uns noch einmal sehen, bevor ich weiterziehen muss? Ein paar Tage sind wir noch hier!“, fragte er leise.
Antonia nickte lächelnd und drehte sich noch einmal winkend zu dem Fremden um.
"Ich heiße übrigens Antonia", rief sie.
Zuhause angekommen, nach dem Abendessen im großen Saal, setzte sie sich an den alten Flügel und ließ ihre Hände sanft über die Tasten gleiten. An diesem Abend spielte sie eine so innige Weise, dass alle Bewohner der Burg still saßen und lauschten.
Etwas war mit ihr passiert. Sie spürte es, wusste es, aber noch nicht genau, was es war. Vor dem Zubettgehen setzte sie sich vor dem Spiegel, löste ihre langen Zöpfe und fing an, ihr glänzendes, blondes Haar zu kämmen.
Vielleicht gefalle ich ihm genauso wie er mir gefällt, dachte sie versunken in ihren Anblick. Später, in ihren Träumen, ritt sie Seite an Seite mit ihm durch blühende Wiesen und Täler, ihr Schimmel und sein schwarzer Hengst glänzten im Sonnenlicht. Sie waren ein wunderschönes Paar.Am nächsten Tag zog es sie mit aller Macht wieder zu dem Wald. Es war um die Mittagsstunde, als sie ihn fand. Er lag ausgestreckt auf einem großen Schaffell im Halbschatten unter dem alten Baum und schlief. Sein Hengst weidete friedlich ein paar Meter weiter. Als sie sich näherte, wieherte das edle Tier leise.
Er erwachte und setzte sich auf. Lächelnd blickte er ihr entgegen. Seine weißen Zähne blitzten in seinem dunklen Gesicht. Grüßend stand er auf und ging ihr entgegen. Bei seinem Anblick schlug ihr Herz schneller.
„Ist das der Mann, der für mich bestimmt ist?“, fragte sie sich.
Die ganze Situation kam ihr vor wie einem Märchen. In ihrem Traum war sie ja schon mit ihm zusammen gewesen und mit ihm ausgeritten.Traum und Wirklichkeit stimmen fast schon überein, dachte sie. Und wie sehr hatte sie sich immer nach so etwas gesehnt. Der Fremde half ihr galant vom Pferd und geleitete sie zu einem Baumstamm.
„Erzähl mir von Dir“, bat er. „Gestern habe ich nur von mir gesprochen. Und dabei möchte ich doch alles über Dich wissen!“
Sie fing an, von ihrem Leben auf der Burg zu berichten, von ihren Schwestern und Brüdern, ihren Eltern und allen anderen Menschen, die dort lebten. Sie sprach von ihren Studien und ihrer Musik.
„Und warum bist Du noch immer bei den Eltern und nicht verheiratet mit wie all deine Geschwister? Ich verstehe das nicht, wo du doch eine so schöne junge Frau bist! Und so klug obendrein“, setzte er verschmitzt hinzu.
„Oder bin ich zu neugierig?“, fragte er.
Sie erzählte, dass schon einige Prinzen aus der Umgebung um ihre Hand angehalten hätten. Aber bis zu diesem Tag sei noch nicht der Mann dabei gewesen, den sie heiraten wollte.
„Alle hatten irgendwo einen Haken“, sagte sie lachend, selbst erstaunt über ihre Freimütigkeit.
Der Fremde nahm langsam seine Kappe vom Kopf und setzte sie behutsam auf ihr blondes Haar. „Du solltet auch so ein Barett tragen, Du siehst umwerfend damit aus. “ sagte er leise und nahm ihre Hand.
„Ich heiße übrigens Tomaso!“
Langsam zog er sie an sich, legte seine Arme um sie und berührte mit seinen Lippen zärtlich ihren Mund. Das hatte sie noch nie erlebt. Kein Mann hatte sie je berührt. Mit klopfendem Herz hielt sie still, ließ es zu, dass er sie noch fester in seine Arme nahm und sie sanft, aber bestimmt auf das große weiche Fell niederdrückte.
Er war ein sehr zärtlicher Mann. Seine schönen, starken Hände streichelten ihren schlanken Körper und lösten in ihr Gefühle aus, die sie bis zu diesem Zeitpunkt nur erahnt hatte. Es war, als ob sie direkt hinauf in den Himmel flöge und auf einer weichen duftigen Wolke durch die Lüfte schwebte.
Später als beide ruhig und glücklich eng umschlungen nebeneinander lagen, blickte sie durch die grünen Zweige des alten Baumes hinauf zu dem weiß-blauen Himmel. Sie sah zu, wie sich Wolkenbilder formten und wieder vergingen.
„Sie sind wie das Glück“, dachte sie. „Sie sind plötzlich da, verändern sich und vergehen wieder. Niemand kann sie festhalten, man kann nur daliegen, zuschauen und es gewähren lassen. Sie gehorchen einem eigenen Gesetz, völlig unabhängig von jedem menschlichen Willen.“
Sie betrachtete das schöne, fremdartige Gesicht des neben ihr schlafenden Mannes.
„Tomaso, welch ein schöner Name! Ist das der Mann aus meinem Traum, der Mann den sie seit schon so langer Zeit gesucht hatte? Er ist so schön, dass ich ihn ständig anschauen und berühren möchte. Aber vielleicht ist es mit ihm genauso wie mit den Wolken: ich werde ihn nicht festhalten können."
Vor langer Zeit hatte sie einmal über dieses Gefühl, das sie damals ja noch gar nicht kannte, geschrieben:
Glück
Glück
ist wie das Wolkenbild
am blauen Sommerhimmel,
das sich formt
und wieder verweht.
Glück
ist wie das Meer,
das im Laufe der Gezeiten
mal stürmisch ist, mal spiegelglatt.
Glück
ist wie der Frühlingswind,
der blütenduftend Dein Gesicht liebkost.
Glück
ist wie die Blume,
die zu voller Pracht erblüht
und dann vergeht.
Glück
ist wie die Melodie,
die leis` erklingt
und jäh verstummt.
Glück
ist wie alles Flüchtige,
das sich Deinem Griff entzieht.
Es lässt sich nicht besitzen.
Wie schön,
wenn Dir das Glück begegnet,
irgendwann einmal,
für einen Tag,
eine Stunde oder
einen kurzen Augenblick.
Sei nicht traurig,
dass Du das Glück nicht halten kannst.
Jederzeit
kann es Dir wieder begegnen
überall,
überraschend,
unerwartet.Genau das war ihr nun passiert. Sie hatte das Glück getroffen und hielt es in diesem Augenblick fest in ihren Händen. Wie lange es wohl dauern würde?
In den folgenden Tagen ritten sie zusammen durch die toskanischen Berge. Wo immer sie Lust zum Rasten hatten, breiteten sie das große Fell auf dem Boden aus und liebten sich mit der ganzen Kraft ihrer jungen Herzen.
Antonia war glücklich wie nie zuvor und genoss jeden Augenblick. In langen Gesprächen lernten sie einander immer besser kennen. Spielerisch hatte sie begonnen, ihn in Italienisch zu unterrichten. Mit Feuer und Eifer war er dabei:
„Ich will Deine Sprache so gut sprechen, dass ich alles, aber auch alles, was Du sagst, verstehe.“
Natürlich drehte sich bei ihrem Unterricht fast alles um ihre Liebe:
„Ti amo, Antonia! Ti amo piu que la mia vita. Non posso vivere senza te, amore mio.“
Tomaso hing an ihren Lippen und war begeistert, wenn sie ihm zu seinen sprachlichen Erfolgen gratulierte. Er war von der Fülle ihres Wissens beeindruckt. In seinem Land waren gebildete Frauen sehr selten, weil die Frauen zu Hause eine andere Rolle zu spielen hatten: ihr Platz war an der Seite des Mannes und bei den Kindern.
Prinzessin Antonia war sich deshalb bewußt, dass ihre Liebe nicht ohne Probleme sein würde. Sie kamen beide aus zu unterschiedlichen Welten, und dies barg nur jeden erdenklichen Konfliktstoff in sich. Er war der schöne Fremde aus dem Orient, einer Welt, deren Gesetze anders waren als die ihrer italienischen Heimat. In seiner Welt war kein Platz für Frauen, die lasen, studierten oder gar musizierten. Eines Tages würde sie sicher aus ihrer Verzauberung erwachen und erkennen, dass sie in einem von altmodischen Traditionen bestimmten Land nicht leben konnte und sich als eine Gefangene fühlen würde. Auch ihr Liebe würde daran nicht viel ändern.
Jetzt war sie so glücklich mit diesem Mann, und totzdem war ihr Herz schwer. In ihrem Kopf entstand die wundervollste Musik, die sie jemals erdacht hatte: heitere, beschwingte Weisen, leidenschaftliche Klänge, die ihre Liebe widerspiegelten und, angesichts der Ausweglosigkeit ihrer Situation, melancholische, wehmütige Lieder. Alles zusammen formte sich zu der schönsten Sinfonie, die sie jemals komponiert hatte. Dieses Mal wollte sie die Noten aufschreiben, damit sie sich immer an diese Zeit mit ihm erinnern konnte. Es ist die Musik meines Lebens, meines Glücks, sagte sie sich wehmütig. Ich habe die Liebe meines Lebens getroffen und sogleich wieder verloren. Das Glück ist doch wie die Wolke am Himmel, die auftaucht und wieder vergeht.
Wehmütig schrieb sie folgende Zeilen in ihr Tagebuch:
„Ohne Dich
muss ich mein Leben,
mein Ich,
neu definieren.
Du hast zu mir gesagt,
ich sei Deine Blume,
die Du gießt und
die Du hegst.
Es ist wahr:
ich bin Deine Blume,
nach der Du schaust,
die Du gießt,
die ohne Deine Liebe
verdorren würde.“
Noch lange Zeit blickte sie aus ihrem Fenster hinaus in die friedliche Abendlandschaft. Die Sonne ging gerade unter und tauchte das Land in ein purpurfarbenes Licht.
Auch ihre Eltern bemerkten bald, dass etwas auf der Seele ihrer Tochter lastete. Endlich erzählte sie ihnen von ihrer Begegnung mit diesem geheimnisvollen Fremden. Ihre Eltern waren mehr als bestürzt. So sehr hatten sie gehofft, dass ihre Tochter vielleicht doch bald einem jungen Mann aus ihrer Heimat ihr Herz schenken würde.
„Antonia hat zu viel gelesen und nur Flausen im Kopf“,
sagten sie zueinander und schüttelten resigniert ihre ergrauten Köpfe. Sie machten sich große Sorgen um ihr Kind. Noch nie zuvor hatten sie ihrer Tochter etwas verboten, aber nach diesem Gespräch untersagten sie ihr mit Nachdruck, sich je wieder mit diesem Fremden zu treffen..
Antonia jedoch ignorierte ihrer Eltern Wünsche und stahl sich,wann immer sie konnte, davon, um ihrem Liebsten nahe zu sein. Eines Tages sagte er zu ihr:
„Ich kann Deine Eltern verstehen! Sie wissen nichts von mir, sehen nur einen windigen Fremdling in mir, der ihre Tochter rauben will. Ich möchte ihnen sagen, wie sehr ich dich liebe und Dich heiraten möchte. Überleg es dir, ich wünsche mir so sehr, dass du dich für mich entscheidest. Vorrei parlare con tuo padre e tua
madre!"Diese Worte in gebrochenem Italienisch mit seiner dunklen, etwas heiseren Stimme gesprochen, rührten ihr Herz. Sie warf sich in seine Arme.
„Liebste, reite mit mir nach Zaragoza, meine Brüder wären entzückt, dich kennenzulernen und für immer in der Familie zu haben. Komm mit mir! Du würdest mich zum glücklichsten aller Männer machen."
Voller Liebe blickte er sie an und küsste behutsam ihren roten Mund.
Entscheidung
An diesem Abend, als ihre Eltern und alle auf der Burg schon im Bett waren, spielte sie eine Weise die wunderschön und von unsäglicher Sehnsucht geprägt war. Danach saß sie noch lange an ihrem Erker und blickte hinaus in die die liebliche toskanische Landschaft.
Wie traumhaft schön doch dieses Land ist. Ich liebe es so sehr, so sehr wie mein eigenes Leben. Wie soll ich es nur über mein Herz bringen und von hier weggehen, in eine ungewisse, fremde Ferne, zu unbekannten Menschen, die nicht meine Sprache sprechen und von denen ich nicht weiß, ob sie gut zu mir sind. Wie kann ich wissen, ob ich mein Leben dort so führen kann, wie ich es gewohnt bin, in absoluter Harmonie? Was wird aus meiner Musik? Ob ich sie dort leben kann? Ich würde sterben, wenn ich auf sie verzichten müßte.
In dieser Nacht machte sie kaum ein Auge zu. Sie sah ihren Geliebten vor sich, sein schönes Gesicht, hörte seine zärtliche Stimme. Und dann war da auf einmal diese Musik in ihr, so überirdisch schön, dass sie zu ihrem Flügel eilte.
Rhythmus des Lebens
Es wird immer so sein:
Auf die Zeit der Liebe
folgt die Zeit des Schmerzes,
genauso wie auf den Tag
die Nacht folgt und auf Licht Schatten.
Noch gestern war ich glücklich
in meiner Liebe zu Dir.
Aber dann, über Nacht,
kam der Schmerz,
schlug mich mit aller Kraft,
ließ mich fallen ins Leere,
nahm mir den Glanz meines Lebens.
Es wird immer so sein:
Auf Dürre folgt Regen
und frisches, neues Grün.
Auf die Zeit der Leere folgt
- wenn das Schicksal es so will -
wieder eine Zeit der Liebe.
Die Zärtlichkeit und Wärme
des Anderen lassen Dich
die graue Zeit der Trauer vergessen.
Jeder Mensch ist eingebunden
in diesen Rhythmus,
ob er es will oder nicht.
Denn auch er ist Teil des Universums,
das, aus Veränderung geboren,
sich ständig fließend erneuert.
Sie spielte den Rest der Nacht. Die Musik perlte wie flüssiges Silber durch den Äther, über Feld und Flur. Die Bewohner der Burg horchten auf, drehten sich seufzend in ihren Betten um und fielen wieder zurück in ihre Träume, die erfüllt waren mit Musik. Selbst die Tiere spitzten ihre Ohren und lauschten.
Der schwarze Hengst des Fremden stand da und wieherte leise. Der Mann erwachte aus seinem Schlaf und hörte die Musik. Schlaftrunken erhob er sich. Er blickte hinüber zu der im hellen Mondlicht liegenden Burg, wo sie am Flügel saß und mit ihrer Musik zu ihm sprach:
„Ich liebe Dich mehr als mein Leben, aber meine Musik liebe ich ebenso. Wenn ich fortgehe von hier, wird sie vielleicht sterben und ich mit ihr. Nie wieder werde ich so lieben wie ich dich geliebt habe, aber es gibt keine Zukunft für uns. Adieu, adieu.....adieu!“
Leise verstummte die Musik, und Stille legte sich über das Land. Er stand wie erstarrt. Mit einer Hand wischte er sich seine Tränen aus den Augen. Mechanisch verstaute er sein Gepäck in den Satteltaschen seines Hengstes und ritt fort, tränenblind, durch die kühle, helle Frühlingsnacht. Noch immer hörte er, ganz tief in sich, die Klänge, die so wunderschön, aber auch so grausam für ihn waren.
Am nächsten Morgen, nach einer langen durchwachten und durchweinten Nacht ritt Antonia so schnell sie konnte zu der Lichtung. Völlig außer Atem brachte sie ihren Schimmel zum Stehen und sah sofort, dass er gegangen war.
Ihr gemeinsamer Platz war leer. Keine einzige Spur mehr war von ihm zu sehen. Langsam ging sie zu dem alten Baum, lehnte sich schluchzend an ihn.„Du bist der einzige Zeuge meines kurzen Glücks. Von nun an werde ich jeden Tag zu dir kommen und an deinem Stamm weinen, du lieber alter, treuer Baum. Nur du weißt, wie sehr ich ihn geliebt habe. Ich liebte ihn so sehr, dass ich ihm alles gegeben habe, meinen Körper, meine Seele. Trotzdem habe ich es nicht übers Herz gebracht, meine Heimat zu verlassen und mit ihm zu gehen. Nie werde ich darüber hinwegkommen“, schluchzte sie verzweifelt in die raue, rissige Rinde. Die Blätter des alten Baumes raschelten leise im Wind, als wollten sie ihr eine Antwort geben.
Sie ließ sich ins Gras gleiten und blieb mit geschlossenen Augen liegen. Sie weinte noch immer, bis sie vor Erschöpfung einschlief. Im Traum kam er zu ihr. Sie hörte seine dunkle, heisere Stimme, die in gebrochenem Italienisch zärtlich zu ihr sagte:
„Antonia, cara mia, diese Kappe solltest Du immer tragen. Du siehst wunderschön damit aus!“
Mit diesen Worten nahm er sein Barett und setzte es auf ihre blonden Haare. Sie fühlte seine zärtlichen Lippen, die ihr die Tränen auf den Wangen fort küssten. Mit unendlicher Behutsamkeit streichelte er sie.
Antonias Lied
Leise raunend
weht der laue Sommerwind
durch den alten Baum,
singt eine Weise
vom verlorenen Glück.
Mein Glück war wie ein Traum,
der viel zu schnell
zu Ende ging.
Unter meinem lieben
alten Baum
hab’ ich es wieder gefunden
dies kurze Glück
in einem langen Traum.
Unheil
Viele lange Monate waren ins Land gegangen. Sie lebte noch immer mit ihren alten Eltern auf der Burg. Noch immer sprachen viele junge Männer bei ihrem Vater vor, um sie zu freien. Vergeblich. Sie weigerte sich nach wie vor, auch nur einen Blick auf sie werfen. Sie wollte den Rest ihres Lebens alleine verbringen, da der Einzige, der ihr jemals gefallen hatte, nicht mehr da war. Allmählich legte sich ihr Schmerz: sie hatte ihre Musik und all die wunderbaren Erinnerungen an ihren schönen Fremden, der die Liebe in ihr Leben gebracht hatte. Mehr wollte sie nicht. Wenn sie an ihrem Flügel saß und die Musik aus ihr heraus floss, war sie in Gedanken bei ihm. Ob er noch immer in Zaragoza war? Vielleicht war er längst schon wieder in seiner Heimat, an den Ufern des Euphrat? Sie seufzte, wenn sie an die Zeit mit ihm zurückdachte.
Ein Hauch von Liebe
Zaghaftes Herz
leise pochend
in meiner Brust
erahnt
süß wie die Brise
des letzten Sommers
diffuse Zärtlichkeit,
den Hauch von Liebe,
flüchtig,verwehend
im grauen Licht
des kalten Nebeltages.
Armes Herz
schmerzhaft schlagend
weiß nicht,
was der Morgen bringt.
Tapferes Herz
in meiner Brust
schlägt für mich
im Glück und
in Traurigkeit.Un soffio dell’amore
Il mio cuore timido
Che batte dentro di me
Sente una tenerezza vaga
leggera come la brezza
dell’ estate ultima
come una dolce canzone
fugace, disperdendo
nel la luce grigiastro
del giornio nebbioso.
Questo cuore povero di me
batte con dolore dentro di me
no sapendo che chosa il futuro porterà.
Il mio cuore valoroso
è un piccolo vulcano
che batte per me
sempre
fino all fine della mia vita.
Einer der Kandidaten, die um sie anhielten, war ein großer, etwas grobschlächtiger Typ, der trotz seines Reichtums wegen seines unbeherrschten Wesens in der Gegend berüchtigt war. Sein Äußeres – er hatte dichte, zusammengewachsene Augenbrauen, einen stechenden Blick und einen schmalen strichartig wirkenden Mund – war alles andere als ansprechend. Er wohnte eine Reitstunde entfernt auf einer kleinen Burg in den Bergen, die genau wie er etwas Düsteres und Unheilvolles an sich hatte. Besagter Mann hatte sich schon einige Male auf der Burg blicken lassen und bei seinem letzten Besuch angefangen, den Burgherren massiv unter Druck zu setzen. Wenn er nicht bereit sei, ihm Antonia zur Frau zu geben, würden alle es noch bereuen. Antonias Vater hatte darauf hin kurzen Prozess gemacht und ihn aus der Burg werfen lassen. Lauthals fluchend war der jähzornige Mann fort geritten und noch in der Ferne hatte er seine Fäuste in Richtung Burg geschüttelt.
„Sei vorsichtig, Kind, und reite nicht zu weit weg von der Burg. Deine Mutter und ich machen uns große Sorgen, dass Dir etwas zustößt!"
Immer warnte ihr Vater sie auf das eindringlichste. Antonia jedoch dachte gar nicht daran, sich von diesem Lackaffen, wie sie ihn verächtlich nannte, einschüchtern zu lassen und ritt weiterhin unbekümmert wie bisher aus. Sie war nicht bereit, ihr Leben wegen eines offensichtlich wild gewordenen Mannes umzustellen. Eines Tages, als sie wieder unter ihrem alten Baum Rast machte und sich ihren Träumereien hingab, geschah es. Sie hörte Pferdegewieher und Hufschlag, als sich plötzlich vor ihr der finstere Reitersmann aufbaute.
„Edle Prinzessin“, schnaubte er zynisch, „jetzt hab ich dich. Ich wollte dich wie ein braver Mann zur Frau nehmen, aber du und deine hochgestochene Familie haben mich abblitzen lassen, und das zum wiederholten Male. Jetzt nehme ich mir einfach, was ich haben will und was mir zusteht!“
Mit diesen Worten griff er nach ihren Händen und schnürte sie mit einem Strick zusammen. Antonias Pferd band er vom Baum ab und jagte es mit einem brutalen Peitschenhieb weg. Mit seinen kräftigen Armen hob er Antonia auf, setzte sie mit einem Schwung auf sein Pferd und stieg ebenfalls auf. Mit einem lauten „Hüh, HaHa“ gab er dem Tier die Sporen und fort ritt er, mit Antonia als Geisel.
Sie war vor Schreck wie gelähmt und überlegte krampfhaft, was sie tun sollte. Bis zu diesem Moment hatte sie noch nichts gesagt, hatte stumm alles über sich ergehen lassen. Sie gedachte, diese Taktik weiter beizubehalten. Auf keinen Fall würde sie sich herablassen und auch nur ein einziges Wort an ihn verschwenden. Um nichts in der Welt würde sie weinen oder um Gnade flehen!
Nach der Ankunft auf seiner Burg sperrte sie der finstere Geselle in eine Kemenate, die außer einer Pritsche, einem wackeligen Stuhl und einem altersschwachen Tisch unmöbliert war. Durch ein fast blindes Fenster fiel nur wenig Licht. Was sie von der Burg erkennen konnte, war wenig einladend. Die hoch aufragenden Mauern waren rußgeschwärzt, und der Burghof war ein mit Unrat gefüllter kleiner Platz. Antonia, die an große helle Räume mit Licht und Luft gewöhnt war, ließ sich ihre Angst und Verzweiflung nicht anmerken und setzte sich stolz und aufrecht auf den Stuhl. Auf keinen Fall wollte sie, dass der Unhold ihre Verzweiflung und Angst bemerkte.
„Euer Hochwohlgeboren, so muss ich ja wohl zu Euch sagen“, fing er spöttisch an, „es wird Euch nichts passieren, wenn ihr kooperativ seid und mir entgegen kommt Ich werde Euch vor unserer Vermählung nicht berühren, dessen könnt Ihr sicher sein. Am Tag unserer Hochzeit allerdings werdet Ihr die Meine sein, für immer und ewig! Ich werde Euch schon Eure Flausen austreiben und eine tüchtige fleißige Frau aus Euch machen, die mir mir Söhne gebärt und die Burg in Ordnung hält.
Antonia schwieg und blickte mit steinerner Miene durch ihn hindurch.Bei dem Gedanken, dass dieser schreckliche Mensch sie anrühren würde, liefen ihr kalte Schauer über den Rücken. So hoffte sie inständig, dass man ihr bald zu Hilfe eilen würde. Sicherlich hatte man sich Gedanken bei der Heimkehr des herrenlosen Pferdes gemacht und Suchtrupps nach ihr ausgeschickt.
Am Abend rührte sie das Essen nicht an, das ihr der finstere Bursche auf einem Tablett gebracht hatte. Sie hatte beschlossen, nicht nur zu schweigen, sondern auch jegliche Nahrung zu verweigern. Als sie nachts auf ihrer kümmerlichen Pritsche lag und zu schlafen versuchte, dachte sie ganz intensiv an Tomaso. Seine Stimme war ganz nah bei ihr:
„Antonia, cara mia, ti amo piu que la mia vita. Alles wird gut werden, das verspreche ich!“
Tomaso
Tomaso war mit seinen Männern schon seit einigen Wochen auf der Rückreise. Seine Brüder in Zaragoza hatten ihn mit größter Herzlichkeit empfangen und ihm zu Ehren einige rauschende Feste veranstaltet, unter anderem eine sechs Tage dauernde Hochzeitsfeier. Zu gerne hätten sie ihn mit einer zauberhaften jungen spanischen Edlen verheiratet (die sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte). Aber er dachte noch immer an die wunderbare Begegnung mit der schönen redegewandten und klugen Italienerin, die darüberhinaus auch noch so lieb war. Wenn er jemals heiraten würde, dann sie. Eine andere Frau kam für ihn nicht in Frage.
Nach langen beschwerlichen Reisetagen kamen er und seine Begleiter in Grosseto an. Dieses Mal ritt er direkt zu der Burg, um sie und auch ihre Eltern zu sehen. Er hoffte, sie alle wohlbehalten anzutreffen.
Das alte Paar freute sich sehr ihn zu sehen. Tränenüberströmt berichteten sie ihm von dem schrecklichen Geschehen.
"Sie war ausgeritten, so wie immer, unbekümmert und froh, obwohl wir sie gewarnt hatten. Wir vermuten, dass dieser finstere Kerl sie entführt hat. Dieser Bursche war ein paar Mal hier bei uns, um um Antonias Hand anzuhalten. Er krakeelte herum, weil er von ihr abgewiesen wurde. Enno heißt er und wohnt auf einer kleinen Burg ungefähr eine Reitstunde von hier entfernt“, berichtete Antonias Vater.
Er war gramgebeugt und sah sehr mitgenommen aus.
„Ich werde erst dann wieder froh sein und in Ruhe sterben können, wenn Antonia wieder frei ist“, setzte er hinzu und blickte den jungen Mann voller Hoffnung an.
Als Tomaso die schlimmen Nachrichten hörte, war er wie versteinert.
Innerhalb kürzester Zeit hatte Tomaso einen Suchtrupp zusammengerufen. Fast alle männlichen Bewohner der Burg wollten dazu beitragen, ihre geliebte Prinzessin aus den Händen des Bösewichts zu befreien.
Man würde die Burg des Finsterlings gewaltsam stürmen, den Kidnapper festsetzen und Antonia aus ihrem Gefängnis holen. Das Ganze sollte als Überraschungsangriff in der Nacht stattfinden, wenn die Bewohner der finsteren Burg schliefen.
In einer dunklen Nacht – der Mond war verborgen hinter schnell ziehenden grauschwarzen Wolken – stürmten die Männer das Gelände Sie nahmen alle feindlichen Männer inklusive den finsteren Drahtzieher der Entführung gefangen – dieser wehrte sich vehement und fluchte wie ein Berserker. Gegen die Übermacht hatte er aber keine Chance. Alle wurden in eiserne Ketten gelegt.
Sie fanden Antonia in ihrer Kemenate, wach. Der nächtliche Lärm und das Kampfgeschrei hatten sie aus ihrem leichten Schlaf gerissen. Etwas Außergewöhnliches war offensichtlich im Gange. Dann hatte sie aus der Ferne eine Stimme vernommen, die ihr bekannt vorkam. Es war eine dunkle heisere Stimme, die so oft in ihren Ohren geklungen hatte. „Tomaso! Er ist gekommen, mich zu befreien“, dachte sie mit klopfendem Herzen.
Dann endlich stand er vor ihr und nahm sie stürmisch in seine Arme.
"Antonia, sono ritornato! Antonia, carissima mia, come vai? „Antonia, carissima, non posso vivere senza te! Sei il sole della mia vita! Con te voglio invecchiare!"
Willst Du mit mir kommen, auch bis an das Ende der Welt?“
Aufbruch
Einige Tage später saßen beide in dem Turmzimmer und blickten hinab in das grünende Tal. Es war ein wundervoller Frühlingstag, so wie damals als sie sich getroffen hatten. Sie hatten alles besprochen, auch mit ihren Eltern. Diese waren überglücklich, dass ihre Tochter wieder da war. Der Gedanke jedoch, dass sie sie bald verlassen wollte, machte sie traurig. Sie freuten sich aber von ganzem Herzen, dass Antonia solch einen tapferen und mutigen Mann gefunden hatte.
Der Tag des Abschieds nahte. Alle Bedenken, die Antonia so gequält hatten, waren plötzlich wie weg gefegt; sie wusste plötzlich ganz genau, was sie zu tun hatte. Dieser Mann, der ihre Hand haltend neben ihr saß, war der Richtige für sie. Sie würde Italien und ihre Eltern verlassen und mit ihm bis ans Ende der Welt reiten, nur um an seiner Seite sein zu können.
Alles Weitere würde sich finden. Sie war sicher, dass sie auch in der Fremde zurecht käme. Tomaso hatte ihr seine ganze Unterstützung zugesagt, und sie war sicher, dass alles klappen würde.
Wie heisst es doch: "Wer wagt, gewinnt!"
Und so waren sie eines Tages nach einem tränenreichen Abschied aufgebrochen. Sie waren wochenlang unterwegs, durchquerten Süditalien, setzten über nach Albanien, ritten durch Mazedonien, Bulgarien, machten längere Rast am Marmarameer und kamen nach großen Strapazen und vielen Abenteuern eines Tages in der kleinen Stadt am Euphrat an. Mit Pauken und Trompeten wurden sie begrüßt. Zu ihren Ehren feierte man ein riesengroßes Fest, das eine ganze Woche dauerte. Von überall her waren Mitglieder seiner großen Familie gekommen, um den Bräutigam mit seiner wunderschönen Braut aus dem fernen Italien zu bewundern. Ihre Hochzeit würde noch größer und festlicher sein, das hatte er ihr versprochen.
Epilog
Antonia saß am Fenster in ihrem Haus hoch über dem Euphrat und blickte hinunter ins Tal und auf den breiten, gemächlich vor sich hin fließend großen Strom. Sie war angekommen in dem Land, mit dem sie sich in ihrer Phantasie schon seit langem beschäftigt hatte. Tomaso hatte Wort gehalten und alles dran gesetzt, dass sie so leben konnte, wie sie es in ihrer Heimat getan hatte. Er hatte ihr einen kostbaren alten Flügel besorgt, der jetzt in einem lichtdurchfluteten Raum stand. Hier saß sie manche Stunde, besonders abends, wenn Ruhe im Haus eingekehrt war, und spielte ihre wunderbare Musik. Zusammen machten sie ausgedehnte Ritte über die weitläufige Besitzung, besuchten und berieten die Familien, die Land in Pacht bewirtschafteten. Am allerinteressantesten waren aber ihre Besuche der Ausgrabungsstätten, auf denen internationale Teams gruben auf der Suche nach Spuren dieses uralten Kulturlandes.
Sie liebte ihr Leben an der Seite ihres Mannes und tat alles, um ihn genauso glücklich zu machen. Heute abend würde sie ihm sagen, dass er bald Vater werden würde. Egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen würde: es war ein vollkommenes Geschenk.
Copyright 1997 Gisela Bradshaw
Überarbeitet 02.02.2008, 02. Februar 2019